Grundsätzliche Ausrichtung des Systems
Rückbesinnung auf die Absicherung von elementaren Lebensrisiken
Ziel der Sozialpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft ist eine Absicherung elementarer Lebensrisiken. Dieser Grundgedanke wird vor dem Hintergrund der dargestellten Trends (beispielsweise der demografischen Entwicklung) noch wichtiger, um weder das Gesundheitssystem im Ganzen zu überfordern noch diejenigen, die seine Finanzierung stemmen.
Umfang und Grenzen der solidarisch finanzierten Vorsorge müssen definiert werden. Hierüber ist auch eine gesellschaftliche Debatte zu führen, die ethische und wirtschaftliche Gesichtspunkte gleichermaßen berücksichtigt. Das gilt insbesondere auch für den Pflegebereich.
Fragen, denen man sich hier stellen muss, sind unter anderem:
Wie ist „Grundversorgung“ überhaupt definiert? Welche qualitativen (Mindest-) Standards werden gesetzt, auch im Bereich der Ausbildung, und wie wird deren Einhaltung sichergestellt (u. a. auch für Heilpraktiker etc.)? Wie können private Zusatzangebote für darüberhinausgehende Standards entstehen? Wie wird das Angebot der Grundversorgung finanziert (Umlage vs. Rücklage; einkommensgekoppelt vs. Alternativen)? Wie kann gewährleistet werden, dass die Beitragszahlungen ausreichen, um die Versicherungsleistungen zu decken (Äquivalenzprinzip)?
Der Zukunftsrat empfiehlt
Mit Augenmaß regulieren
Ein Ordnungsrahmen ist erforderlich, weil in diesem speziellen Markt Angebot und Nachfrage nicht aufeinandertreffen und massive Informationsasymmetrien bestehen. Dieser Ordnungsrahmen muss dreierlei gewährleisten:
- Langfristige Finanzierbarkeit der Systeme
- Zugang der Patienten zu den notwendigen – auch innovativen – Therapien und Diagnoseverfahren
- Spielräume für Unternehmen für Investitionen in neue und verbesserte Therapie und Diagnostik
Es ist unbedingt zu vermeiden, dass die Komplexität des Systems noch weiter erhöht wird. Bei jedem weiteren Eingriff muss geprüft werden, ob damit zugleich eine Vereinfachung und idealerweise eine Reduzierung von Bürokratie verbunden werden kann.
Transparenz erhöhen
Um den Wettbewerb im Gesundheitswesen zu stärken, müssen die Leistungen besser miteinander vergleichbar und die Kosten nachvollziehbar sein.
Im gesamten Gesundheitssystem, insbesondere in der GKV, fehlt es an Transparenz: bei Kosten und Nutzen einzelner Therapien, über die Effizienz und Qualität der Leistungserbringung (z.B. durch die Krankenkassen), über die Versorgungsqualität, über die Abrechnungsvoraussetzungen und Erstattungsmethoden und vieles mehr. Dazu tragen die komplexen Organisationsstrukturen ebenso bei wie eine überbordende Regulierung. Auch die Reformmaßnahmen der letzten Jahre haben teilweise zu mehr Intransparenz geführt. So wurde beispielsweise durch die Umstellung des Zusatzbeitrags von einem fixen Eurobetrag auf einen Prozentsatz die Vergleichbarkeit zwischen den Kassen erschwert.
In allen genannten Bereichen muss mehr Transparenz eingeführt werden. Das gilt für alle Akteure der Gesundheitswirtschaft ebenso wie für den Einzelnen. Ein erster Schritt auf diesem Weg kann beispielsweise eine bundesweite Übersicht über alle abgeschlossenen (Erstattungs-)Verträge (z.B. im Heilmittelbereich) durch die Zusammenführung aller veröffentlichten Daten sein, z. B. als Ergänzung der Datenbanken des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information.
Versorgung flächendeckend sicherstellen
Ziel muss es sein, allen bei uns lebenden Menschen, unabhängig von Region und Wohnort, eine angemessene Versorgung mit Gesundheits- und Pflegeleistungen zu bieten, einschließlich des Zugangs zu einer schnellen Notfallversorgung (etwa bei einem Schlaganfall). Die Regionen entwickeln sich allerdings nicht gleichmäßig, weder im Hinblick auf die Demografie noch auf andere Faktoren wie Wirtschaftskraft und Infrastruktur. In einigen Räumen zeichnen sich daher heute Versorgungslücken ab.
Einen Teil des Bedarfs wird man über den Einsatz neuer Technologien decken können (z. B. Telemedizin, Assistenzsysteme für den Einsatz im eigenen Heim etc.), aber es wird auch langfristig den persönlichen Ansprechpartner vor Ort bzw. in gut erreichbarer Entfernung geben müssen.
Eigenverantwortung stärken
Eigenverantwortung hat zwei Seiten: Der Gesetzgeber muss sie zulassen und die vielen Akteure des Gesundheitswesens müssen sie – auch über die nachstehend genannten Bereiche hinaus – wahrnehmen. Viele Regelungen im Gesundheitsbereich dienen letztlich nur dazu, erkannte Fehlentwicklungen zu korrigieren und Fehlanreize für die Zukunft zu reduzieren. Ein guter Schutz gegen übermäßige Regulierung, die letztlich jeden mindestens im Sinne von bürokratischen Anforderungen trifft, ist eigenes verantwortliches Verhalten aller Akteure im Gesundheitsbereich. Anderenfalls kommt es ständig zu neuen Rufen nach Regulierung.
Gesundheit als Teil von Nachhaltigkeit betrachten
Zwischen Nachhaltigkeit und Gesundheit gibt es eine Vielzahl von Überschneidungen und Wechselwirkungen, die es erforderlich machen, die Themen stärker gemeinsam zu betrachten.
So kann der Trend zu einem höheren Gesundheitsbewusstsein zu einem Verhalten führen, das zugleich ressourcenschonend wirkt, z. B. die vermehrte Nutzung des Fahrrads. Wenn es um Appelle im Sinne eines eigenverantwortlichen Handelns geht, sollte auch dieser größere Kontext bedacht werden. Weitere Beispiele sind vor allem in einer globalen Betrachtung die Auswirkungen des Ernährungsstils und damit Auswahl und Produktion von Lebensmitteln auf Klimawandel und Umwelt einerseits sowie umgekehrt deren Rückwirkung auf die Verfügbarkeit und Qualität von Nahrungsmitteln. Gesundheit ist hier auf allen Ebenen betroffen. Ähnliches gilt auch für die Beziehung zwischen Tourismus, Gesundheit und Nachhaltigkeit.
Wichtig ist dabei, nachhaltiges Handeln (auch im Sinne der Gesundheit) immer als Schnittmenge der drei gleichberechtigten Ziele Ökonomie, Soziales und Ökologie zu verstehen. Viele Anstrengungen im Bereich der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit sind nur möglich, weil Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich sind. Nur durch erfolgreich wirtschaftende Unternehmen, die viele Arbeitsplätze am Standort schaffen und sichern, stehen dem Staat ausreichende Mittel für soziale und ökologische Aufgaben zur Verfügung. Gleichzeitig ist Nachhaltigkeit als solche – einschließlich des Gesundheitsaspekts – auch ein Wirtschaftsfaktor: nicht nur als Verkaufsargument (z. B. in den oben genannten Bereichen: umweltschonende Mobilität/gesundheitsfördernde Lebensmittel), sondern als Produkt (z. B. Umwelttechnologien/Gesundheitstourismus) oder für die Produktion (z. B. langfristige Rohstoffverfügbarkeit/ergonomische Arbeitsplatzgestaltung), als Standortfaktor und schließlich als Teil der Grundausrichtung („DNA“) vieler Firmen.
Prävention stärken
Prävention bezeichnet Maßnahmen, mit denen
- Risiken für Krankheiten beseitigt und vermindert,
- Krankheiten frühzeitig (z. B. durch Screenings) erkannt und
- Krankheitsfolgen gemildert und die Verschlimmerung von Krankheiten verhindert werden sollen.
Der Präventionsgedanke ist von allen Beteiligten weiterzuentwickeln.
Finanzierung zukunftsfest ausgestalten
Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden technologischen Veränderungen in allen Bereichen des Gesundheitswesens und der Gesellschaft sowie der zunehmenden kostentreibenden Faktoren sind Anpassungen im System bis hin zu einer möglichen grundsätzlichen Neuausrichtung unumgänglich, um eine dauerhaft leistungsfähige Gesundheitsversorgung zu gerechten und wirtschaftlich tragbaren Bedingungen sicherzustellen. Die Grundlagen der Finanzierung sind insgesamt auf den Prüfstand zu stellen.
Ziele sollten sein:
- Mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen (größere Handlungsspielräume sowie eine höhere Transparenz im Hinblick auf das Verhältnis von Preis, Leistung und Qualität) und erweiterte Wahlmöglichkeiten bei den Versicherungstarifen
- Beseitigung von Ineffizienzen, u. a. auch bei der Beitragserhebung
- Verhinderung eines weiteren Kostenanstiegs
- Entkoppelung der GKV-Finanzierung von demografischen und konjunkturellen Entwicklungen
- Vermeidung von weiteren Kostenbelastungen des Faktors Arbeit
Dazu gehört auch, Nebeneffekte des heutigen Systems zu beseitigen, die zu einer ungerechten Verteilung der Mittel führen, wie die heutige Ausgestaltung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs („Morbi-RSA“). Er soll durch Zu- und Abschläge für die Krankenkassen je nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand der Versicherten Unterschiede ausgleichen. Faktisch führt dies allerdings zu einer Benachteiligung bayerischer Kassen, weil regional unterschiedliche Kostenstrukturen (z. B. Mieten und Personalkosten) nicht berücksichtigt werden. Weitere Aspekte, die einer näheren Prüfung bedürfen, sind die kostenlose Mitversicherung in der GKV und die Ausgestaltung der Wahlfreiheit zwischen den Systemen.
Mehr Wettbewerb wagen
Um unser Gesundheitswesen zukunftsfähig zu machen, brauchen wir mehr Wettbewerbselemente im System, sowohl im Hinblick auf die Finanzierung als auch hinsichtlich der Qualität der Versorgung. Wettbewerb ist dabei kein Selbstzweck, sondern dient dem Ziel, eine bessere medizinische Qualität, mehr Effizienz und weniger Bürokratie sicherzustellen.
Ohne Marktmechanismen gibt es kein Ringen um das beste medizinische Angebot, keine innovationssteigernden Investitionen und keine Anreize für Krankenhäuser und Kliniken, durch eine moderne Ausstattung für Patienten besonders attraktiv zu werden. Anstelle eines echten Marktgeschehens findet sich in zu vielen Bereichen des Gesundheitssystems nur ein dichtes Regulierungsgeflecht.
Das gilt insbesondere auf der Ebene der Arzneimittelhersteller und des Arzneimittelhandels. Staatliche Preisregulierungen müssen abgebaut und die Versicherten in den Preis-Leistungs-Mechanismus besser eingebunden werden.
Auch die Angebote der Krankenhäuser, die (gesetzlichen) Krankenkassen und die Pflege müssen an verschiedenen Stellschrauben wettbewerblich weiterentwickelt werden. Staatliche Planung alleine wird den großen Herausforderungen auf diesem Gebiet nicht gerecht. Mehr Wettbewerb meint dabei sowohl zwischen privaten und öffentlichen Anbietern wie der öffentlichen untereinander. Erste Voraussetzung dafür ist wiederum mehr Transparenz (vgl. Kachel 01.1.2 Transparenz erhöhen) .
Privaten Anbietern kommt bei der Versorgung Pflegebedürftiger schon jetzt eine bedeutende Rolle zu. Sie decken bereits 40 bis 50 Prozent des Pflegebedarfs in Bayern. Unnötige Regulierungen sowie Preisfestsetzungen von außen behindern diese wichtige Funktion der privaten Anbieter und schaden auch den zu Pflegenden. Gleiches gilt für eine neue Pflegekammer mit Zwangsmitgliedschaft und Zwangsbeiträgen. Eine Pflegekammer schafft mehr Bürokratie und verhindert marktfähige Strukturen in der Pflege, sodass der Pflegeberuf insgesamt unattraktiver würde.