Ge­sund­heits­po­li­ti­sche Rah­men­be­din­gun­gen

Das Ge­sund­heits­sys­tem setzt heu­te zu we­nig An­rei­ze da­für, die wirk­sams­ten The­ra­pi­en zu ent­wi­ckeln und zum Ein­satz zu brin­gen.  An­pas­sun­gen sind not­wen­dig, um so­wohl die Ver­sor­gung zu ver­bes­sern als auch In­ef­fi­zi­en­zen zu be­sei­ti­gen und ei­ne hö­he­re Wert­schöp­fung am Stand­ort zu er­mög­li­chen. Die Re­gu­la­to­rik muss auf das not­wen­di­ge Maß re­du­ziert wer­den, um die Wett­be­werbs­fä­hig­keit nicht zu be­ein­träch­ti­gen.

Ge­ra­de die Phar­ma­bran­che be­fin­det sich in ei­nem Span­nungs­feld der deut­schen Ge­sund­heits­po­li­tik: Ei­ner­seits steht das Ge­sund­heits­sys­tem ins­ge­samt vor der Her­aus­for­de­rung, die Kos­ten im Griff zu be­hal­ten. An­de­rer­seits sol­len in­no­va­ti­ve The­ra­pi­en ent­wi­ckelt und die zu­ver­läs­si­ge Ver­sor­gung mit Me­di­ka­men­ten am Stand­ort ge­si­chert wer­den. Ge­sund­heits­po­li­ti­sche Dämp­fungs­maß­nah­men, et­wa Preis­mo­ra­to­ri­en oder Zwangs­ab­schlä­ge, die­nen dem ers­ten Ziel (mit un­ge­wis­sem Er­folg), schwä­chen aber zu­gleich die Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Bran­che und be­hin­dern die Ent­wick­lung in­no­va­ti­ver Me­di­ka­men­te; teil­wei­se ge­stal­tet sich so­gar die Ver­sor­gung mit be­stimm­ten Me­di­ka­men­ten am Stand­ort kri­tisch.

 

Der Zu­kunfts­rat emp­fiehlt

Zu­las­sungs­ver­fah­ren und Preis­fest­set­zung

Die Zu­las­sungs­ver­fah­ren für neue Pro­duk­te und Dienst­leis­tun­gen, neue Un­ter­su­chungs- und Be­hand­lungs­ver­fah­ren sind sehr kom­plex und lang­wie­rig. In man­chen Be­rei­chen stel­len sich zu­dem Ab­gren­zungs­schwie­rig­kei­ten, wie et­wa bei der Fra­ge, ob In­no­va­tio­nen aus dem Be­reich der Im­mu­n­on­ko­lo­gie noch Arz­nei­mit­tel oder me­di­zi­ni­sche Ver­fah­ren sind.  Von der Ant­wort hän­gen wie­der­um un­ter­schied­li­che Zu­las­sungs­we­ge ab. Im Ver­gleich zu an­de­ren Län­dern fin­det zu­dem ein we­ni­ger in­ten­si­ver Dia­log mit der Zu­las­sungs­stel­le statt.

 

Dass ein Zu­satz­nut­zen von in­no­va­ti­ven Prä­pa­ra­ten im Ver­gleich zur Stan­dard­the­ra­pie nach­ge­wie­sen wer­den muss, ist rich­tig. Es muss da­bei al­ler­dings si­cher­ge­stellt wer­den, dass nur Ver­gleichs­pro­duk­te als Re­fe­renz her­an­ge­zo­gen wer­den, die tat­säch­lich den­sel­ben An­wen­dungs­fall (z. B. Ein­satz in der Schwan­ger­schaft, bei be­stimm­ten Vor­er­kran­kun­gen etc.) adres­sie­ren, und nicht ein­fach ir­gend­ein Ge­ne­ri­kum, das eben­falls zur Be­hand­lung der frag­li­chen Krank­heit ein­ge­setzt wird. Ge­gen­wär­tig ge­schieht dies bei der Nut­zen­be­wer­tung neu­er Pro­duk­te all­zu oft, mit dem Ziel, ei­nen nied­ri­gen Preis durch­set­zen zu kön­nen. 70 Pro­zent be­zie­hen sich auf die Ver­gleichs­the­ra­pie mit Ge­ne­ri­ka, die in der Re­gel bei et­wa 20 Eu­ro lie­gen und so­mit kei­nen Er­fin­der­lohn mehr be­rück­sich­ti­gen kön­nen. Bei ei­nem Zu­satz­nut­zen ist das al­ler­dings nicht zu recht­fer­ti­gen. Im Er­geb­nis kann das da­zu füh­ren, dass we­gen der un­über­brück­ba­ren Preis­dif­fe­renz zum Ge­ne­ri­kum kei­ne Ei­ni­gung zu­stan­de kommt. Die Kon­se­quenz ist, dass neu ent­wi­ckel­te Pro­duk­te ent­we­der gar nicht auf den Markt ge­bracht oder wie­der vom Markt ge­nom­men wer­den. Im Er­geb­nis ent­ste­hen bei uns Lie­fer­eng­päs­se für das spe­zi­el­le­re Prä­pa­rat, und die Kran­ken­kas­sen grei­fen   im Ein­zel­fall zum Im­port aus Nach­bar­staa­ten. Ein Lö­sungs­an­satz wä­re, nach Pa­ti­en­ten­grup­pen dif­fe­ren­zier­te Prei­se zu ver­ein­ba­ren, um den Zu­satz­nut­zen für die­se Grup­pen auch preis­lich ab­zu­bil­den.

 

Pro­ble­ma­tisch ist auch, dass die deut­sche Me­tho­de der Nut­zen­be­wer­tung welt­weit ein­zig­ar­tig ist. 80 Pro­zent der An­trä­ge schei­tern aus for­ma­len Grün­den, et­wa we­gen der Pa­ti­en­ten­aus­wahl bei den Tests. Die Fol­gen blei­ben nicht auf den Stand­ort Deutsch­land be­schränkt: Vie­le Län­der ma­chen ih­re na­tio­na­le Zu­las­sung wie­der­um von ei­nem Ver­trieb im Pro­duk­ti­ons­land ab­hän­gig.

 

Wir müs­sen neue We­ge für ei­ne schnel­le­re, trans­pa­ren­te­re und in­ter­na­tio­nal gän­gi­ge Ab­wick­lung der Zu­las­sungs­ver­fah­ren fin­den.

 

Nut­zen­be­wer­tung und Preis­ver­hand­lung müs­sen da­bei von­ein­an­der ge­trennt wer­den: Heu­te ist bei den Er­stat­tungs­prei­sen für In­no­va­tio­nen mit nach­ge­wie­se­nem Zu­satz­nut­zen der GKV-Spit­zen­ver­band Spie­ler, Schieds­rich­ter und Re­gel­ge­ber in ei­nem. Die Preis­fest­set­zung fin­det not­falls durch ei­ne Schieds­stel­le statt, ein „free pri­cing“ ist im Be­reich der ver­schrei­bungs­pflich­ti­gen Me­di­ka­men­te nicht vor­ge­se­hen. Ei­ne Kla­ge­mög­lich­keit des Her­stel­lers gibt es erst ge­gen den Schieds­spruch. Ei­ne denk­ba­re Lö­sung ist es, zwei ver­schie­de­nen Stel­len die Zu­stän­dig­keit zu über­tra­gen, ein­fa­cher um­setz­bar dürf­te es aber sein, nach er­folg­rei­cher Nut­zen­be­wer­tung auch ei­ne freie Preis­fest­le­gung als Op­ti­on vor­zu­se­hen.

Er­stat­tungs­be­din­gun­gen

Health Tech­no­lo­gy As­sess­ment

Es fehlt an ei­nem um­fas­sen­den Health Tech­no­lo­gy As­sess­ment (HTA, zu Deutsch et­wa Me­di­zin-Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung). An­de­re Län­der er­rech­nen, was bei­spiels­wei­se ein neu­es Me­di­ka­ment für das Ge­sund­heits­sys­tem ins­ge­samt an Ein­spa­run­gen brin­gen kann: am­bu­lan­te statt sta­tio­nä­re Be­hand­lung, Er­halt der Er­werbs­fä­hig­keit etc. Ein sol­ches Sys­tem muss – nicht nur für Me­di­ka­men­te und Me­di­zin­tech­nik im en­ge­ren Sin­ne, son­dern z. B. auch für An­wen­dun­gen aus dem Be­reich E-Health – we­sent­lich brei­ter ge­nutzt wer­den. Ak­tu­ell wer­den nur ein­zel­ne aus­ge­wähl­te The­men be­han­delt, für die es schon aus­rei­chend Pu­bli­ka­tio­nen gibt, und es wer­den ins­be­son­de­re in al­ler Re­gel kei­ne In­no­va­tio­nen be­wer­tet, son­dern nur Tech­no­lo­gi­en, die sich be­reits im Ein­satz be­fin­den.

 

Es darf aber nicht nur dar­um ge­hen, den Nut­zen be­stehen­der Tech­no­lo­gi­en zu hin­ter­fra­gen und ggf. den Leis­tungs­ka­ta­log der Kran­ken­kas­sen zu kür­zen, son­dern auch dar­um die Wir­kun­gen neu­er – un­ter Um­stän­den auch auf­wän­di­ger und teu­rer – Tech­no­lo­gi­en um­fas­send ab­zu­schät­zen, ganz im Sin­ne ei­ner Me­di­zin-Tech­nik­chan­cen­ab­schät­zung.

 

In ei­nem nächs­ten Schritt ist ei­ne Har­mo­ni­sie­rung der Nut­zen­be­wer­tung ein­schließ­lich HTA auf eu­ro­päi­scher Ebe­ne sinn­voll: Ge­gen­wär­tig gibt es trotz ei­nes seit An­fang der 90er-Jah­re exis­tie­ren­den in­ter­na­tio­na­len und ei­nes eu­ro­päi­schen Netz­werks (In­ter­na­tio­nal bzw. Eu­ro­pean Net­work of Agen­ci­es for Health Tech­no­lo­gy As­sess­ment) in den ein­zel­nen eu­ro­päi­schen Län­dern ver­schie­de­ne Gold­stan­dards und kei­ne ge­gen­sei­ti­ge An­er­ken­nung bei der Nut­zen­be­wer­tung; nur die Zu­las­sung ist eu­ro­pä­isch.

Bes­se­rer In­for­ma­ti­ons­fluss im Sys­tem

Ganz ent­schei­dend wird es sein, den In­for­ma­ti­ons- und Wis­sens­aus­tausch zwi­schen al­len Ak­teu­ren des Ge­sund­heits­sys­tems zu ver­bes­sern. Er ist Grund­la­ge so­wohl für ei­ne bes­se­re Ef­fi­zi­enz bei der Leis­tungs­er­brin­gung, bei­spiels­wei­se auch über die Er­mög­li­chung neu­er wett­be­werb­li­cher Ele­men­te durch mehr Trans­pa­renz, als auch für die Wei­ter­ent­wick­lung des In­no­va­ti­ons­sys­tems im Gan­zen. Bei­des dient letzt­lich auch ei­ner hö­he­ren Ver­sor­gungs­qua­li­tät. Zu­sätz­lich kann so auch mehr Ei­gen­ver­ant­wor­tung des Pa­ti­en­ten er­mög­licht wer­den.