Technologiepolitik
Leitgedanke der Technologiepolitik muss die Technologieoffenheit sein. Der Staat definiert das Ziel und stellt Rahmen und Mittel zur Verfügung, lässt den Weg aber offen. Damit fördert er die Kreativität von Forschern und Entwicklern. Als Gegenbeispiel können verschiedene Maßnahmen im Zusammenhang mit der Energiewende dienen.
Schwerpunkte definieren
Technologieoffenheit bedeutet nicht, dass keine Schwerpunkte bei einzelnen Schlüsselanwendungen und -technologien definiert werden sollten und sogar müssten. Deutschland und Bayern müssen gleichzeitig bisherige Stärken bewahren und ausbauen – etwa die hohe Innovationsfähigkeit der Automobilindustrie, die für deutlich mehr als ein Drittel der nationalen F+E-Aufwendungen der Wirtschaft steht – und in anderen Bereichen gezielt neue Kompetenzen aufbauen.
Spitzenleistungen im Bereich Digitalisierung

Die Studie TechCheck 2019. Erfolgsfaktor Mensch. zeigt, dass die Schlüsselanwendungen überwiegend einen Bezug zur Digitalisierung haben, quer durch alle Zukunftstechnologien. Bei der digitalen Transformation dürfen wir uns also keine Schwäche leisten, da das auf praktisch alle zentralen Technologie- und Anwendungsbereiche gleichzeitig durchschlagen könnte. Freistaat und Bund müssen daher technologische Spitzenleistungen auf allen wichtigen Feldern der Digitalisierung anstreben, mithalten allein genügt nicht.
Wichtige Beispiele sind:
- Cyber-Sicherheit, einschließlich digitaler Identitäten (z. B. unter Verwendung von Blockchain-Verfahren)
- Künstliche Intelligenz mit klarem Anwendungsbezug (Input aus der realen Welt),
- Methoden für die Zertifizierung bzw. Standardisierung sicherheitskritischer Anwendungen lernender Systeme
- Quantencomputing
Mit der hervorragenden Forschungslandschaft, dem Leibniz-Rechenzentrum und starken Anwenderbranchen haben wir großes Potenzial am Standort, das ausgeschöpft werden muss. Auf allen genannten Feldern gibt es mindestens Absichtserklärungen seitens der Staats- und Bundesregierung, teilweise erste Umsetzungsschritte. Die entsprechenden Vorhaben müssen zügig und umfassend umgesetzt werden. Aktuell lassen es die öffentlichen Haushalte noch zu.
Potenziale bayerischer Zukunftstechnologien ausschöpfen

Einzelne Anwendungen in den bayerischen Zukunftsfeldern haben großes Potenzial, das noch nicht oder zu wenig ausgeschöpft wird. Genau darauf muss sich der Fokus staatlicher Forschungs- und Innovationspolitik in Bayern ausrichten.
Handlungsbedarf bei Schlüsselanwendungen bayerischer Zukunftsfelder
Mensch-Maschine-Interaktion

als Schlüsselkompetenz begreifen und fördern z. B. taktile Sensoren, Gesten- und Sprachsteuerung, für den menschlichen Anwender nachvollziehbare Gestaltung lernender Systeme.
Menschenzentrierte maschinelle Intelligenz und Robotik vorantreiben

mit Anwendungsorientierung und damit Interaktion mit der physischen Welt im Fokus. Erforderlich ist ein eigenständiges, international sichtbares Zentrum, das die bestehenden Kompetenzen der Hochschulen (insbesondere der Munich School of Robotics and Machine Intelligence) bündelt, eine Infrastruktur für gemeinsam genutzte Sonderforschungszonen (Testfelder) bereitstellt und eng mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen (z. B. neues Fraunhofer Institut für Kognitive Systeme und Fraunhofer Cluster of Excellence for Cognitive Internet Technologies) und Unternehmen zusammenarbeitet. Die entsprechenden Vorhaben in Bayern müssen zügig umgesetzt und mit den notwendigen Haushaltsmitteln ausgestattet werden.
Aufbau eines Safe and Trustworthy AI & Robotics Research Center

an der Munich School of Robotics and Machine Intelligence (MSRM) der TUM in Zusammenarbeit mit fortiss und der bayerischen Industrie, das Sicherheits-, Resilienz- und Zertifizierungsalgorithmen für die Steuerung und Simulation von KI-basierten Systemen entwickelt und insbesondere in Industrie- und Gesundheitsanwendungen zum Einsatz bringt.
Im gesamten Bereich IKT / Digitalisierung muss die Ausbildung weiter gezielt gestärkt werden,

unter anderem auf den Feldern Software und Systems Engineering.
Für Systems Engineering fehlt am Standort Bayern nach wie vor ein Institut oder Zentrum,

wie bereits in den Handlungsempfehlungen von 2015 angeregt.
Sicherheitsfragen müssen als prioritäres Handlungsfeld behandelt werden,

insbesondere die Gewährleistung von Cyber- und IT-Sicherheit sowie der Schutz kritischer Infrastrukturen (Verkehr, Energieversorgung etc.). Ein wichtiger Baustein wäre ein Nationales Innovations- und Technologiezentrum Öffentliche Sicherheit, das eine dauerhafte und uneingeschränkte Urteils- und Beratungsfähigkeit der Behörden zu Technologien für die öffentliche Sicherheit auf dem neuesten Stand der Forschung und Technik gewährleistet.
Biotechnologie

CRISPR / Cas9 jedenfalls im Forschungsbereich vorantreiben; Denkverbote und Anwendungsverbote bei der gentechnischen Veränderung von Pflanzen (grüne Gentechnik) aufgeben.
Luft- und Raumfahrt

Angekündigtes Programm umsetzen und die dafür erforderlichen Mittel bereitstellen, Fokus auf Satellitentechnik und deren praktische Anwendung zum Beispiel in der Landwirtschaft, für die Navigation oder stabile flächendeckende Netze entlang der Lieferkette richten.
Quantentechnologien als neuen Querschnittsbereich etablieren.
Ernährungs- und Lebensmitteltechnologien

sehr gute Ausgangslage (46 Prozent der bayerischen Patente sind Weltklassepatente) nutzen, um neue Lösungen auch für die globale Ernährung dynamischer voranzutreiben. Dabei auch den Agrarbereich und die dortigen technologischen Potenziale immer mitbedenken – Beispiele sind der Einsatz von Digitalisierungstechnologien, Vertical Farming (Forschung ausbauen) und neue Nutzpflanzen. Auch vor diesem Hintergrund darf die grüne Gentechnologie nicht von vornherein ausgeklammert werden.
Intelligente Verkehrsleitsysteme und Vernetzung der Verkehrsträger

müssen nach dem Bedarf des Kunden insbesondere auch angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Branchen auf ein neues Level gehoben werden. Zu fördern sind innovative Lösungen für Nah- und Fernverkehrsmittel, Personen und Fracht, z. B. Lösungen für die „letzte Meile“ beim Zuliefererdienst und Automatisierungslösungen. Ziel muss es sein, nicht nur auf Engpässe zu reagieren, sondern mit innovativen zusätzlichen Leistungen neue Nachfrage etwa im ÖPNV zu wecken.
Nanotechnologie

Geringere Vernetzung mit anderen Technologien gezielt korrigieren, Bedeutung stärken, Prozessentwicklung für den Transfer vom Labor in die die industrielle Praxis ausbauen.
3D-Simulation und 3D-Visualisierung

Vorhandene Kompetenzen in Bayern in einem international sichtbaren, branchenübergreifenden Forschungs- und Anwenderzentrum bündeln und in die Breite tragen. Die entsprechenden Beschlüsse müssen zügig unter Beachtung der Anliegen der Anwenderbranchen umgesetzt werden.
Additive Fertigung

Neue Materialien erforschen, neue Anwendungsbereiche finden, Möglichkeiten in die Breite tragen – dazu Fortsetzung und Intensivierung der eingeleiteten Aktivitäten bei Bayern Innovativ.
Als Beispiel für ein missionsorientiertes Vorgehen (hier: Umgang mit dem demografischen Wandel) sollte die Initiative Geriatronik- Modellkommune Garmisch-Partenkirchen mit dem entsprechenden Zentrum von TUM / MSRM zu einer Leuchtturmregion mitsamt institutioneller Verankerung des Geriatronik-Zentrums und Ausbau zum Referenzzentrum „Künstliche Intelligenz für das selbstbestimmte Leben im Alter“ ausgebaut werden.
Energieeffizienz auch bei neuen Technologien und Anwendungen erhöhen,

Forschung und Entwicklung dazu fördern (u. a. Stichwort Green IT). Mit einer Leuchtturm-Initiative Green AI sollte die Entwicklung von wirtschaftlichen und energiebewussten KI-Algorithmen mitsamt entsprechender skalierbarer KI-Infrastruktur vorangetrieben werden.
Wichtig ist die Einrichtung (weiterer) Experimentierräume, Reallabore und Testfelder – vor allem für die Schlüsselanwendungen, mit denen Menschen direkt in Kontakt kommen, beispielsweise im Mobilitätsbereich.
Eine Patentanalyse, wie sie der Studie TechCheck 2019. Erfolgsfaktor Mensch. zugrunde liegt, muss ferner Anlass sein, sich nicht nur die besonders dynamischen Bereiche anzusehen, sondern auch die heute noch schwach ausgeprägten Verknüpfungen. Ein Beispiel dafür ist die Nanotechnologie. An diesen Schnittstellen kann noch ungehobenes Potenzial liegen. Gerade für die Beurteilung „riskanter“ Forschungsprojekte ist das relevant.
Forschungsförderung
Die Forschungsförderung muss Impulse setzen, damit Antworten auf wichtige Herausforderungen gefunden werden, dabei aber auch der Kreativität der Forscher und Entwickler den notwendigen Raum lassen. Die Programm- und Projektförderung muss neben der steuerlichen Forschungsförderung mindestens in gleichem Umfang erhalten bleiben.
Richtig ist, dass der Freistaat seine Forschungsförderung – den Empfehlungen des Zukunftsrats entsprechend – nunmehr u. a. dahingehend anpasst, dass Kooperationen auch mit großen Unternehmen gestärkt werden. Wer große Unternehmen bei der Förderung außen vor lässt, vergibt Chancen für den Standort. Zudem ist der Spillover-Effekt bei größeren Unternehmen nachweislich größer, also der positive gesamtwirtschaftliche Effekt der Wissensdiffusion. Grundlagenforschung findet derzeit in Drei-Jahres-Zyklen statt und bewegt sich in einem zu engen Rahmen. Sie muss auch völlig zielfrei möglich sein. Der Gedanke „high Risk, high reward“ spielt bisher keine Rolle in der deutschen Forschungsgemeinschaft. Vorbild können hier zum Beispiel die Programme der US-amerikanischen NSF (National Science Foundation) oder NIH (National Institutes of Health) sein. Risiko (beispielsweise im Sinne komplett neuartiger Ansätze) muss auch in Deutschland positiv berücksichtigt werden können (vgl. Kachel 03.2, Ausklapper 3).
Auch für die projektspezifische Forschungsförderung gilt, dass diese beständig weiterentwickelt und neue Formate erprobt und ausgerollt werden müssen. Insbesondere leidet die anwendungsnahe Forschungsförderung derzeit darunter, dass die Wahrscheinlichkeit, das im Projektantrag formulierte Projektziel zu erreichen, ein wesentliches Kriterium bei der Projektauswahl ist. Daraus resultiert ein zu großer Fokus auf inkrementelle Innovationen. Zwar gibt es in Deutschland zusätzlich zur Projektförderung auch eine Grundfinanzierung von Universitäten und Forschungseinrichtungen, allerdings sind diese einerseits für die Durchführung von risikoreichen Projekten auf dem Gebiet der angewandten Forschung zu knapp bemessen und andererseits den Unternehmen der Privatwirtschaft nicht zugänglich. Es fehlen in Deutschland dezidierte Förderinstrumente mit Fokus auf Forschungsvorhaben, die einerseits einen großen technologischen Durchbruch mit unmittelbarer Anwendbarkeit bringen, andererseits aber auch mit einer signifikanten Wahrscheinlichkeit scheitern könnten. Solche Instrumente müssen zudem eine ausreichend große Autonomie im Hinblick auf Handlungs- und Entscheidungsspielräume für die Zielerreichung bieten. Vorbild hierfür ist z. B. die US-amerikanische DARPA, an der sich auch die für Deutschland geplante „Agentur für Sprunginnovationen“ (vgl. Kachel 02.3.1, Ausklapper 7) und „Cyberagentur“ orientieren.
Regionale Verteilung
Es muss Bayern gelingen, mehr Bundesmittel und EU-Mittel an den Standort zu holen. Umgekehrt müssen Bund und EU die relative Stärke des Freistaats – auch bedingt durch die hohe Dichte an wichtigen Anwenderbranchen – als Argument für und nicht gegen eine Unterstützung und Ansiedelung neuer Kompetenzzentren betrachten: Technologieförderung darf nicht mit Regionalförderung verwechselt werden. Wo es darum geht, internationale Leuchtkraft zu erzielen und wirksame Impulse zu setzen, muss auf vorhandenen Stärken aufgebaut werden.
Das gilt grundsätzlich auch für die Förderung innerhalb des Freistaats: Es muss die richtige Balance gefunden werden zwischen einer landesweit guten Forschungsinfrastruktur, die gerade mit Blick auf den Technologietransfer in den Mittelstand wertvoll ist, und einigen herausragenden Zentren (wie z. B. die sog. Leistungszentren).
Technologietransfer
Vermittlung technologischer Trends über konkrete Einsatzgebiete

Um neue Anwendungen und technologische Trends in die Breite zu tragen, müssen sie auf die konkreten Einsatzgebiete heruntergebrochen werden. Besser als mit den abstrakten Potenzialen Künstlicher Intelligenz erreicht man insbesondere den Mittelstand mit konkreten Einsatzgebieten wie beispielsweise dem Erkennen natürlicher Sprache. Blockchain klingt nach einem Hype, während „Lösungen für die sichere Nachverfolgung von Waren“ praktische Anwendbarkeit verspricht. Veranstaltungen öffentlicher Institutionen sollten sich bei Programmgestaltung und Vermarktung noch stärker daran ausrichten.
Konsequenter Einsatz von Best-Practice-Beispielen

Gerade für den Mittelstand ist eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für den Einsatz technologischer Neuerungen, dass andere aus der Branche damit bereits (positive) Erfahrungen machen, wie auch die aktuelle Erhebung für die vbw zeigt (vgl. Kachel 04.0.1). Dann ist der Staat aber umso mehr gefordert, auf eine möglichst breite Verwendung von Best-Practice-Beispielen zu setzen. Erste Ansätze dazu gibt es bereits, etwa speziell für Gründer oder für Nutzer des Digitalbonus Bayern. Allerdings fehlt eine leicht zugängliche systematische Erfassung. Derzeit muss das Unternehmen aktiv danach suchen und möglichst auch bereits eine konkrete Vorstellung davon entwickelt haben, für welche Anwendung es sich interessiert. Die Lösung könnte in einer bayernweiten Datenbasis liegen, die in einem ersten Schritt Angaben zu allen mit öffentlichen Mitteln geförderten Vorhaben in leicht verständlicher Weise enthält und eine Filterung nach Unternehmensgröße, Branche, B2Bvs. B2C-Geschäft, Technologiebereichen etc. ermöglicht. Staatliche Ansprechpartner müssen parallel dazu als gut sichtbare Anlaufstellen zur Verfügung stehen.
Wo immer möglich, muss der Staat den Nutzen neuer Technologien im eigenen Bereich demonstrieren. Beispiele sind der Energiebereich (energetische Sanierung sämtlicher eigener Gebäude etc.) und der Verkehrsbereich (z. B. neueste technologische Standards in eigenen Flotten), aber auch digitale Technologien.
Forschungslandkarte

Ausgangspunkt für neue Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen ist eine transparente und tagesaktuelle Übersicht zu Standorten, Kompetenzen und Themen (vgl. Kachel 03.2). Während die Inhalte dezentral erstellt werden sollten, muss die Einrichtung und die Einbindung aller relevanten Akteure von staatlicher Seite betrieben werden

Handlungsempfehlungen: Potenziale bayerischer Zukunftstechnologien - Position in den Bereichen Robotik und Künstliche Intelligenz weiter ausbauen

Handlungsempfehlungen: Potenziale bayerischer Zukunftstechnologien - Handlungsbedarf bei 3D-Anwendungen und in der Luft- und Raumfahrt

Handlungsempfehlungen: Potenziale bayerischer Zukunftstechnologien - Chancen neuer Technologien in den Vordergrund stellen

Handlungsempfehlungen: Spitzenleistungen bei neuen Technologien – Einführung neuer Tools und Industriestrategie
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