Innovationspolitik
Der Staat muss ein konkretes Bild davon haben, wie das eigene Innovationssystem funktioniert und insbesondere wissen:
- wie die Diffusionsgeschwindigkeit im Vergleich zu wichtigen Wettbewerbern ist und was sie beeinflusst
- in welchen Phasen auf nationaler Ebene die Wertschöpfung hoch ist und wo im internationalen Vergleich Potenziale brachliegen
- welche staatlichen Hebel in welchen Sektoren wie effektiv sind (werthaltige Innovationen auslösen / anreizen)
- wie der aktuelle Stand der Implementierung bei Schlüsseltechnologien in den heimischen Unternehmen ist
um auf dieser Basis eine strategische Zielvorstellung zu entwickeln und konsequent umzusetzen.
Rolle des Staats im Innovationssystem
Der Staat tritt im Innovationssystem als Finanzierer, Regulierer und als Betreiber von Infrastruktur auf. Sein Einfluss auf der Nachfrage- wie der Angebotsseite ist groß. Umso wichtiger ist es, dass er ihn bewusst und zielgerichtet im Sinne des Standorts ausübt
Die nationale Innovationspolitik fokussiert bisher stark auf die Angebotsseite, während die Nachfrageseite (z. B. staatliches Beschaffungswesen, aber auch Auswirkungen politischer Grundsatzentscheidungen beispielsweise in der Energiepolitik) kaum beachtet, jedenfalls aber nicht strategisch gestaltet wird.
Die deutsche Innovationspolitik kann grob in vier Phasen unterteilt werden:
Phase 1
Ausbau der Grundlagenforschung, mit überwiegend missionsorientierten Programmen
Phase 2
direkte Förderung der industriellen F+E, Ausrichtung auf Schlüsseltechnologien
Phase 3
Diffusionsorientierte Programme, Stärkung der Verbundforschung und Netzwerke; breitere Verteilung der Verantwortungen auf die Ressorts und Ausbau der Aktivitäten von Bundesländern und EU; Beeinflussung von Rahmenbedingungen
Phase 4
Bündelung von Programmen, Fördermaßnahmen und Initiativen, an globalen Herausforderungen und Metazielen (z. B. Akzeptanz) orientierte Missionen; Dialogmechanismen und Beratungsgremien
Das Innovationssystem als solches wandelt sich ebenfalls:
Innovationen werden ganzheitlicher

Das, was seit einigen Jahren in der Industrie unter dem Schlagwort „hybride Wertschöpfung“ stattfindet, nämlich eine Verlängerung des klassischen Herstellungsprozesses durch kundenzentrierte Dienstleistungen, der Wandel vom Produkt- zum Lösungsanbieter, wird zunehmend zum Standard.
Der Innovationsprozess wird in den kommenden Jahren stärker digitalisiert

Inkrementelle Veränderungen werden durch leistungsfähige KI-Algorithmen vorangetrieben, die auch politische und gesellschaftliche Anforderungen bzw. Rahmenbedingungen berücksichtigen, während sich der Mensch auf die grundlegenden, disruptiven Neuerungen und Erfindungen konzentriert. Auch dabei wird er durch deutlich bessere Vorhersagen beziehungsweise Simulationen in frühen Entwicklungsstadien unterstützt. Der Umgang mit Daten (Souveränität, Sicherheit, Nutzung) ist Schlüsselfaktor für den Erfolg.
Die Wissensdiffusion nimmt stark zu

Die Herausforderung verlagert sich mit dem Aufstieg von Open Science (Ansätze, mit denen wissenschaftliche Veröffentlichungen auf Plattformen für den Leser kostenfrei zugänglich gemacht und zusätzlich experimentelle Daten veröffentlicht werden) dahin, die relevanten Forschungsergebnisse in der größeren verfügbaren Menge an Wissen aufzuspüren. Open Innovation (Öffnung des Innovationsprozesses von Organisationen nach außen) wird auch in der Industrie immer häufiger eingesetzt, um in den notwendigen kurzen Reaktionszeiten Lösungen für ein zunehmend komplexes und interdisziplinäres Umfeld zu entwickeln.
Damit einher geht eine Öffnung des Innovationssystems

über die Grenzen von Einzeldisziplinen und Staatsgrenzen hinaus: Innovation und Wertschöpfung werden immer globaler.
Um in diesem Umfeld erfolgreich zu bestehen, muss der Staat also die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Keine der oben skizzierten grundsätzlichen Ausrichtungen ist dafür per se die richtige oder die falsche für den Standort. Es gilt, für die Zukunft das Beste aus allen Phasen zu kombinieren und um eine größere Portion Mut zum Risiko zu ergänzen. Wir brauchen insbesondere mehr Raum für Experimente und parallel dazu eine höhere Bereitschaft, ausreichend große Autonomie in Bezug auf Handlungs- und Entscheidungsspielräume zu bieten und in „riskante“ Vorhaben zu investieren. Zusätzlich muss der Staat auf der Nachfrageseite klarer Stellung beziehen und mehr Orientierung geben.
Missionszentrierung vorantreiben

Missionszentrierung hat den Vorteil, dass damit zum einen Offenheit bezüglich der Zielerreichung verbunden ist und zum anderen der Gesellschaft der (potenzielle) Nutzen von Innovationen und dem damit verbundenen Engagement des Staates vermittelt wird. Auch wenn sich die Missionen auf die großen Herausforderungen unserer Zeit beziehen (z. B. demografischer Wandel, Klimawandel, Bekämpfung von Fluchtursachen), ist es wichtig, die Ziele positiv zu formulieren. Das trägt dazu bei, nicht nur die Risiken zu debattieren, sondern vor allem auch den Beitrag zur angestrebten Mission. Die Missionen für Bayern können direkt aus den Zukunftsfeldern abgeleitet werden. Ein Beispiel sind die Gesundheits- und Medizintechnologien. Der Zukunftsrat hat in seinen Empfehlungen von 2018 detailliert beschrieben, wie die Ziele (Gesundheitssystem demografiefest ausgestalten und die bestmögliche Versorgung für jedermann zu Kosten gewährleisten, die nicht über dem heutigen Niveau liegen) mit dem gezielten Einsatz neuer Technologien erreicht werden können. Gleiches gilt beispielsweise für eine jederzeit verfügbare nachhaltige und den individuellen Bedürfnissen entsprechende Mobilität oder den Umbau des Energiesystems ohne Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit (Kosten, Versorgungssicherheit).
Kooperationen fördern

Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu fördern, führt zu einer großen Hebelwirkung öffentlicher Gelder und wirkt sich positiv auf das Bruttosozialprodukt aus, der Ansatz muss daher ebenfalls intensiv weiterverfolgt werden. Gleiches gilt für Kooperationen von Unternehmen untereinander. Die Unterstützung von Kooperation und Strukturbildung darf allerdings nicht zulasten der Fördersummen und Laufzeiten für Neuanträge gehen, also der notwendigen konkreten Technologieförderung.
Höhere Bereitschaft zu riskanten Investitionen

Aktuell kommen erste Ansätze hinzu, die stärker auf Sprunginnovationen ausgerichtet sind. Sie werden allerdings zu zögerlich und mit deutlich zu geringem Mitteleinsatz umgesetzt. Wenn die neue Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen eine Rolle spielen soll, die beispielsweise mit derjenigen der DARPA vergleichbar ist, dann muss
- der Mitteleinsatz (aktuell mit rund 100 Mio. € pro Jahr kalkuliert) vervielfacht werden, bei gleichzeitig schlanken Strukturen
- eine Vielzahl „risikoreicher“ Projekten gefördert werden, insbesondere auch solcher, die Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen leisten können
- das Scheitern der Mehrzahl dieser Vorhaben einkalkuliert und nicht als Misserfolg gedeutet werden (realistisches Erwartungsmanagement)
- die Agentur weitgehend unabhängig von Behördenstrukturen agieren dürfen und in der Leitung mit unternehmerisch und technologisch kompetentem Personal ausgestattet sein.
Grundvoraussetzung für einen effizienten Mitteleinsatz ist, dass Klarheit darüber besteht, was bereits durch bestehende Institutionen (Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen) und Fördermechanismen abgedeckt wird (thematisch und funktional). Auch in den Ministerien, die über die Mittelbereitstellung für diese und weitere auf eher riskante Investitionen ausgerichtete Maßnahmen entscheiden, muss die technologische Kompetenz erhöht werden (vgl. auch Kachel 03.2 und 03.5). Bei der Zielerreichung muss ein großer Handlungs- und Entscheidungsspielraum gewährt werden.
Normung und Standardisierung

In den Bereichen Normung und Standardisierung ist der Staat vor allem als unterstützende Instanz gefragt. Die Vielzahl von technischen Vorgaben und entsprechenden Gremien macht es gerade Mittelständlern fast unmöglich, ihre Interessen angemessen einzubringen. Andere Staaten unterstützen die Unternehmen in der Normungsarbeit – diesem Beispiel muss Deutschland folgen, damit sich nicht Marktmacht dort bündelt, wo der Mitteleinsatz für Standardisierung am höchsten ist.
Der Appell richtet sich aber auch an die Industrie: Die Unternehmen müssen sich ebenfalls stärker als bisher der Bedeutung von Normen und Standards bewusst werden und in die Beteiligung an der Festlegung der Maßstäbe durch die Entsendung von Mitarbeitern in die Gremien investieren. Dies gilt in besonderem Maße für „systemische“ Normungsfelder, in denen es nicht um die Normung eines einzelnen technischen Gewerkes geht (etwa eines Schraubendurchmessers), sondern um die Gestaltung einer ganzen Systemlandschaft wie z. B. Smart Grid oder Industrie 4.0. Hier sind die Unternehmen gefordert, sich im Vorfeld der Normungsarbeit auf eine gemeinsame Normungs-Roadmap zu verständigen und sodann in gegenseitiger Absprache die verfügbaren Normungsexperten so auf die (inter-)nationalen Normungsorganisationen zu verteilen, dass die Roadmap in Gänze zur Umsetzung kommt. Der Staat kann bei diesen komplexen Vorgängen als Stifter wirken und z. B. eine Plattform für die Verständigung zwischen den Unternehmen anbieten und moderieren. Wichtig hierbei ist, dass der zweite Teil, also die Umsetzung in den Normungsorganisationen und Konsortien, dabei nicht zu kurz kommt – wie es leider in der Vergangenheit häufig zu beobachten war.
Forschung und Entwicklung müssen dagegen im Bereich der Standardisierung und Zertifizierung lernender Systeme in sicherheitskritischen Bereichen gezielt unterstützt werden. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Anwendung von KI-basierten Robotersystemen ist die Gewährleistung der menschlichen Sicherheit durch intelligente algorithmische Steuerung, maschinelles Lernen und reaktive Planungsalgorithmen, die alle auch unter Worst-Case- Bedingungen sicher und nachvollziehbar funktionieren. Hier gilt es, die Grundlagen zum Beispiel für künftige Zulassungsverfahren zu schaffen, um die drastisch reduzierte Zeitspanne bis zur möglichen Markteinführung verfahrensmäßig abzubilden und auch Produkte nutzen zu können, deren Verhalten sich – planmäßig, aber nicht exakt vorhersehbar – während des Lebenszyklus verändert (vgl. Kachel 02.3.2 Ausklapper 3 Aufbau eines Safe and Trustworthy AI & Robotics Research Center). Erst auf Grundlage entsprechender wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Möglichkeiten der Gewährleistung von Sicherheit, Zuverlässigkeit, ggf. Transparenz lässt sich festlegen, ob und inwieweit sich die Regulatorik ändern muss. Einstweilen müssen auch hier Experimentierräume bestehen.
Positives Bild des Innovationsstandorts transportieren

Übergeordnetes Ziel muss es für den Staat sein, ein positives Gesamtbild von Bayern beziehungsweise Deutschland als Innovationsstandort zu transportieren und die Gesellschaft im Ganzen damit anzuspornen. Das gilt auch für die Wirtschaft, denn obwohl sie die deutsche Wirtschaft insgesamt durchaus als innovativ wahrnehmen, sehen sich die meisten Unternehmen selbst nicht als besonders innovativ und streben in erster Linie an, nicht vom Markt abgehängt zu werden. Hier muss die Messlatte höher gehängt werden.
Chancen in Vordergrund stellen, mit Risiken vernünftig umgehen
Der Staat muss bei der Regulierung die richtige Gewichtung zwischen Chancen und Risiken finden. Während Chancen viel stärker in den Vordergrund gerückt werden müssen, ist beim gesetzgeberischen Umgang mit Risiken deutlich stärker als bisher nach dem Grad der Gefährdung zu differenzieren.
Technologie als Chance begreifen

Es ist erforderlich, den Fokus deutlich stärker auf Chancen (gesamtgesellschaftliche Potenziale und Nutzen für den Einzelnen) neuer Technologien zu richten. Der Zukunftsrat hat angesichts der großen Potenziale der digitalen Transformation in seinen Handlungsempfehlungen von 2017 betont, dass die Technikfolgenabschätzung zu einer Technikchancenabschätzung weiterentwickelt werden muss. Weiteres Beispiel ist der Bereich Medizin und Gesundheit, wo neue Technologien sowohl bei der Bekämpfung und Vermeidung von Krankheiten als auch bei der Kostendämpfung und nicht zuletzt für Wohlstand und gute Arbeitsplätze am Standort eine Schlüsselrolle spielen. Dementsprechend ist es geboten, auch in Deutschland ein umfassendes Health Technology Assessment im Sinne einer Medizin-Technikchancenabschätzung einzuführen (Gesundheit und Medizin. Analyse und Handlungsempfehlungen, 2018). Dieser Gedanke lässt sich auf sämtliche Technologien und neue Anwendungen übertragen; er sollte zur Grundhaltung beim Umgang des Staates damit werden.
Bei „kleinen Risiken“ mehr Verhältnismäßigkeit wahren

Seit einiger Zeit ist in Bereichen wie dem Stoffrecht (z. B. im Geltungsbereich der REACH-Verordnung) eine Tendenz zur Risikominimierung möglichst bis auf null zu beobachten. Statt das vertretbare Risiko zu definieren, wird bei Produkten die vollständige Freiheit von bestimmten Substanzen verlangt. Mit der Nachweisgrenze verschieben sich damit zugleich die Anforderungen, bessere Analysemethoden führen also umgehend zu einem höheren Aufwand. Dabei werden an künstliche, technisch hergestellte Stoffe ungleich höhere Anforderungen gestellt als an Naturprodukte. Ein viel zitiertes Beispiel besagt, dass eine herkömmliche Himbeere angesichts ihres natürlichen Gehalts an verschiedenen Giftstoffen nicht die geringste Chance auf Zulassung hätte, wenn sie im Labor entwickelt worden wäre.
Es ist richtig, Risiken etwa für die Gesundheit und die Umwelt zu reduzieren, und dabei wurden in den letzten Jahrzehnten auch große Fortschritte erzielt. Das Anspruchsniveau muss dabei aber im Rahmen bleiben. Gelingen kann das, wenn Risiken – etwa durch minimale Mengen einer potenziell krebserregenden Substanz – generell denjenigen gegenübergestellt werden, die von vergleichbaren Produkten ausgehen.
Auch Risiken neuer Anwendungen – beispielsweise des autonomen Fahrens – müssen vom Staat nicht nur abstrakt bewertet, sondern stets den mit Alternativen verbundenen Risiken gegenübergestellt werden. Chancen der verschiedenen Alternativen (einschließlich des Nichthandels) müssen gleichwertig mit Risiken einbezogen werden.
Die deutsche Bevölkerung ist – ebenso wie diejenige der meisten anderen EU-Mitgliedstaaten – nicht per se deutlich risikoadverser als der Durchschnitt oder als die Bevölkerung vergleichbarer Industrieländer. Wenn der nationale oder europäische Gesetzgeber trotzdem strengere Maßstäbe an das erlaubte Risiko anstellen will, dann muss das von Anfang an transparent gemacht, begründet und bei Bedarf auch debattiert werden.
Mehr Vorsorge für die „großen Risiken“ treffen

Oberste Priorität für staatliche Stellen muss die Risikoabwehr in den Bereichen haben, die für Gesellschaft und Wirtschaft absolut notwendig sind. Dazu zählen die Aufrechterhaltung des großräumigen Energiesystems und der Schutz kritischer Infrastrukturen (vgl. Kachel 02.2.1), sowohl im Falle von Angriffen als auch im Hinblick auf extreme Naturereignisse (Vulkanausbrüche etc.). Hierfür wird noch zu wenig Vorsorge getroffen. Auch Resilienz – zu verstehen als Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit nicht nur von Menschen, sondern als Eigenschaft von komplexen technischen Systemen und Infrastrukturen jeglicher Art – muss als wichtiges Querschnittsthema intensiver behandelt werden.
Innovationsfreundlichen Rechtsrahmen schaffen
Der Staat muss einen Rechtsrahmen schaffen, der mindestens so innovationsfreundlich und zukunftsorientiert ist wie die Menschen und Unternehmen, die wir für die Spitzenforschung und die Entwicklung weltweit erfolgreicher Anwendungen aus technologischen Neuerungen brauchen.
Die Studie TechCheck 2019. Erfolgsfaktor Mensch. zeigt, dass ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen Regulierung und Innovationstätigkeit besteht. Während Deutschland in bestimmten Aspekten des weiten Felds „Qualität der Regulierung“ sehr gut dasteht (Rechtssicherheit, Stabilität des politischen Systems etc.), schneiden wir uns in anderen Bereichen selbst Chancen ab, etwa durch das weit überdurchschnittliche Niveau der Unternehmensbesteuerung, hohe Arbeitskosten und die Unflexibilität unseres Arbeitsrechts.
Vieles von dem, was als neue Regulierungsgegenstände diskutiert wird, regelt das heutige Recht bereits zufriedenstellend, bzw. kann im Rahmen der Vertragsfreiheit zwischen den Beteiligten gestaltet werden. Darüber hinaus muss auch das geltende Recht auf mögliche vermeidbare Hemmnisse überprüft und bei Bedarf angepasst werden. In den bisherigen Handlungsempfehlungen wurden bereits viele Aspekte hervorgehoben, darunter die Haftung für autonome Systeme und den KI-Einsatz, die weiter ihre Gültigkeit behalten.
Arbeitsrecht modernisieren

Insbesondere der Einsatz digitaler Technologien führt dazu, dass Arbeit immer weniger an einen festen Ort und starre Zeitfenster gebunden ist und in zunehmend agilen Strukturen und Abläufen stattfindet. Plattformen, Coworking Spaces und ähnliche neue Formen der Kooperation von internen und externen Spezialisten ermöglichen flexibles Arbeiten. Das entspricht sowohl den Präferenzen vieler Arbeitnehmer als auch den Anforderungen an die Unternehmensorganisation in einem dynamischen und volatilen Umfeld.
Der Rechtsrahmen muss an diese modernen Formen der Arbeit angepasst werden. Viele der hoch qualifizierten Fachkräfte wandern sonst ins Ausland ab, wo sie so arbeiten dürfen, wie sie arbeiten wollen, und bringen dort ihr Spezialwissen ein. Das gilt es zu verhindern.
Bereits in den Handlungsempfehlungen von 2017 hat der Zukunftsrat daher betont, dass das Arbeitszeitrecht dringend modernisiert werden muss. Erster Schritt ist die Ausschöpfung des europarechtlichen Spielraums, wonach eine wochen- statt tages-bezogene Betrachtung möglich ist. Im Rahmen der branchenübergreifenden vbw- Kampagne So möchte ich arbeiten! haben Arbeitnehmer verdeutlicht, warum das gerade auch in ihrem Interesse ist.
Die größere Flexibilität muss für alle Unternehmen gelten, unabhängig von der Tarifbindung. Der Handlungsbedarf ist hier nicht geringer geworden; mit der Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung droht ein weiterer Verlust an Flexibilität im ohnehin unzeitgemäßen deutschen Arbeitsrecht. Ein zu rigides Arbeitszeitsystem ist ein abschreckendes Signal auch für Startups und deren Mitarbeiter: Die größtmögliche Absicherung vor Mehrarbeit oder Arbeit zu einer staatlich definierten „Unzeit“ geht an der Lebenswirklichkeit und an den Einstellungen einer ergebnisorientierten und intrinsisch motivierten Kultur völlig vorbei.
Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen internen und externen Experten können im derzeitigen Rahmen nicht rechtssicher gestaltet werden, weil Fragen von Weisungsrechten, der betrieblichen Eingliederung, der Eingruppierung und Versetzung sowie des Arbeitsschutzes nicht abschließend geklärt sind. Es muss daher gesetzlich klargestellt werden, in welchen Fällen kein Arbeitsverhältnis und ggf. auch keine Pflicht des Auftraggebers zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen begründet werden.
Parallel zu den Möglichkeiten, sich seinen Arbeitsort selbst auszusuchen und seine Zeit einzuteilen, muss der Arbeitnehmer auch mehr Eigenverantwortung übernehmen (dürfen). Die Verantwortung des Arbeitgebers kann nicht weiter reichen als seine mögliche Kenntnis von eventuellen Gefährdungs- oder Belastungssituationen. Das gilt insbesondere auch für die Pflichten nach der Arbeitsstättenverordnung: Es liegt weder im Interesse des Beschäftigten noch des Arbeitgebers, die Ergonomie des frei gewählten mobilen Arbeitsplatzes im Rahmen regelmäßiger Begehungen zu überprüfen.
Mitbestimmung: Rechtshemmnisse für die Einführung neuer Technologien überwinden

Der Aufgabenbereich des Betriebsrats muss auf diejenigen Gebiete beschränkt werden, die tatsächlich die Interessen der Mitarbeiter berühren. Der überzogene Fokus auf die Vermeidung jeder denkbaren vermeintlichen Missbrauchsmöglichkeit bremst technologischen Fortschritt in den Unternehmen aus. Stattdessen sollte der Schwerpunkt auf der Missbrauchskontrolle liegen.
Probleme bereitet das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates insbesondere bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, zumal die Rechtsprechung dieses Mitbestimmungsrecht sehr weit auslegt. Danach ist die Mitbestimmung schon dann geboten, wenn technische Einrichtungen für eine Kontrolle der Arbeitnehmer lediglich geeignet sind, ohne dass dies tatsächlich ihr Zweck sein müsste. Diese abstrakte Eignung haben nahezu jede Software und die entsprechenden Updates. Das Mitbestimmungsrecht muss auf Anwendungen beschränkt werden, die tatsächlich eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter bezwecken.
Die Zustimmung des Betriebsrats darf nicht erforderlich sein, wenn sich die Arbeitsaufgaben einzelner Mitarbeiter aufgrund neuer technischer Rahmenbedingungen weiterentwickeln. Der Betriebsrat muss derzeit jeder Versetzung zustimmen, also wenn einem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wird und dies mit einer Veränderung der Arbeitsumstände verbunden ist. Dafür reicht es schon aus, wenn sich die Arbeitsanforderungen durch den technischen Fortschritt ändern. Gerade hier ist oft eine schnelle Reaktion geboten, um mit der weltweiten Konkurrenz Schritt zu halten. Der Versetzungsbegriff muss daher geändert werden. Auch das Mitbestimmungsrecht bei Arbeitszeitänderungen muss angepasst werden, da schon heute die Arbeitszeitregelungen durch eine veränderte Arbeitsorganisation immer komplexer werden.
Das Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die Gruppenarbeit darf sich insbesondere nicht mehr auf die Regelung der internen Arbeitsorganisation und die Zusammenarbeit der Gruppe beziehen, um nicht die erforderliche Agilität der Unternehmen zu hemmen.
Technologieoffenheit in der Regulierung gewährleisten

Nicht nur in der Forschungs- und Förderpolitik (vgl. Kachel 02.3), sondern ganz generell muss Regulierung Technologieoffenheit gewährleisten. Es hat sich selten bewährt, wenn der Staat versucht, neben den Zielen auch die zulässigen technologischen Mittel für deren Erreichung festzulegen. Gerade auf sich sehr dynamisch verändernden Feldern werden anderenfalls Innovationen ausgebremst, ohne die Zielerreichung zu verbessern. Aktuelles Beispiel ist die Regulierung im Bereich Blockchain- Technologie, deren Förderung sich sowohl der Bund als auch der Freistaat Bayern verschrieben haben. Ein Haupthindernis für den Einsatz in der Praxis sind neben Datenschutzfragen diverse Formvorschriften, die ersichtlich nicht auf eine dezentrale Organisation ausgelegt sind und jedenfalls öffentliche Blockchains regelmäßig ausschließen.
Auch in weiteren Bereichen muss geprüft werden, wo bestehende Regulierung das Erreichen übergeordneter Ziele (Missionen) unnötig erschwert. Das gilt z. B. für den gesamten Bereich der Energiewende bzw. des Klimaschutzes (z. B. CO2-Abscheidung und -Speicherung) und neue Angebote im Verkehr (z. B. Drohnen, Flugtaxis) oder die kontrollierte grüne Gentechnik.
Maß halten bei neuen Regelungen insbesondere im digitalen Bereich

Der verbreitete Wunsch, große, teilweise marktbeherrschende und in aller Regel außereuropäische Plattformen in ihrem Einfluss zurückzudrängen, darf keine unüberlegten Abwehrreflexe des nationalen oder europäischen Gesetzgebers auslösen. Ob es um die Besteuerung der digitalen Wirtschaft oder Forderungen nach einer Offenlegung von Daten und Algorithmen geht: Stärker betroffen sind letztlich auch oder überwiegend die oft noch im Aufbau befindlichen eigenen Anbieter. Insbesondere in den Handlungsempfehlungen 2016 und 2017 wurde bereits beschrieben, dass der geltende Rechtsrahmen in aller Regel zu befriedigenden Ergebnissen führt und jede neue Regelung einer fundierten Rechtfertigung bedarf. Weder für digitale Plattformen noch für die Transparenz von Algorithmen ist ein dringender Handlungsbedarf ersichtlich.
Mehr Raum für Experimente
Damit ein dichtes Regulierungssystem Innovatoren nicht abschreckt, muss immer Raum für Experimente bestehen. Anderenfalls werden neue Anwendungen außerhalb von Deutschland oder Europa erprobt und letztlich auch zur Marktreife gebracht. Um einen echten „Innovations-Push“ zu erreichen, muss man Regulierung jedenfalls in einem definierten Bereich überschreiten dürfen.
Reallabore (Living Labs), in denen andere (weniger strikte) regulatorische und gesetzliche Bestimmungen gelten, schaffen so einen Raum zum Experimentieren. Sie ermöglichen, in (zeitlich und räumlich begrenzten sowie rechtlich abgesicherten) Testräumen Erfahrungen mit Innovationen unter realen Bedingungen zu sammeln. Hier können die Anwendungen von Forschungsergebnissen unter realen Bedingungen getestet und weiterentwickelt werden. Dazu sind Ausnahmegenehmigungen erforderlich, die allgemein geltendes Recht zeitweise außer Kraft setzen. Auch bedarf es dazu gegebenenfalls neuer Projekt- und Förderformate, um die Forschungs- und die Umsetzungsperspektive stärker zusammenzubringen.
Dabei geht es nicht um eine Deregulierung oder den Abbau von Sicherheits- und Schutzstandards, sondern darum, einen geeigneten Rechtsrahmen –zum Beispiel für den digitalen Wandel – auszuloten. Experimentier- bzw. Öffnungsklauseln für Reallabore existieren bspw. bereits im Personenbeförderungsgesetz und in der Drohnenverordnung. Teilweise sind allerdings selbst dem experimentierwilligen Staat Grenzen gesetzt, die aufgehoben werden müssen. Ein Beispiel ist der Datenschutz: Die DSGVO sieht keine Ausnahmen für Reallabore und Co vor, in denen die europäischen Vorgaben außer Kraft gesetzt werden können. Das muss der gesetzliche Rahmen aber immer zulassen, auf nationaler wie auf europäischer Ebene.
Hinzukommen muss ferner die Bereitschaft des Staates, aus den Erfahrungen in Experimentierräumen zu lernen und den bestehenden Regulierungsrahmen tatsächlich anzupassen.
Neben rechtlichen Experimentierräumen sind reale Testfelder sehr wichtig, wie bereits in früheren Handlungsempfehlungen für das autonome Fahren betont, und müssen stetig weiter ausgebaut werden. Ein Beispiel sind die Einrichtung von Sonderforschungszonen am Kompetenznetzwerk Künstliche Maschinelle Intelligenz „kini.bayern" (vgl. Kachel 02.3.2): In dieser Kooperation von TUM / MSRM, fortiss, LMU, Fraunhofer, Helmholtz und der starken bayerischen Industrie sollen die realitätsnahen Forschungs- und Testeinrichtungen in Form von Sonderforschungszonen, also Living Labs, den experimentellen Kristallisationspunkt von kini.bayern darstellen. Diese Sonderforschungszonen bestehen aus domänenspezifischen, professionell betriebenen Pilotinfrastrukturen für Maschinelle Intelligenz am Standort München. Hier können nicht nur neue Technologien und Systeme erprobt und im Reifegrad signifikant fortentwickelt, sondern auch zulassungsrelevante Prozesse bereitgestellt werden. Folgende drei Sonderforschungszonen sollten unter Berücksichtigung zentraler technologischer Zukunftsfelder bzw. Missionen zunächst aufgebaut werden: Zukunft der Arbeit: Factory of the Future, Zukunft der Gesundheit: Intelligent Hospital Ward, Zukunft der Mobilität: AI Flight and Mobility Testfeld. Ziel ist es, die Spitzenforschung zu bündeln und einen international sichtbaren Kristallisationspunkt für ein stetig wachsendes Kompetenznetzwerk im Bereich der Maschinellen Intelligenz zu schaffen.
Gründerförderung
Unternehmensgründungen haben einen wichtigen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Den Beitrag kann man nicht nur in klassischen volkswirtschaftlichen Kennzahlen messen, er liegt auch in der Vernetzung und im Wissenstransfer. Während Kapitalgeber ihr Netzwerk und ihr Know-how zur Verfügung stellen und etablierte Unternehmen als Kooperationspartner zudem Marktzugänge schaffen, hilft der Umgang mit Start-ups ihnen umgekehrt dabei, Technologien, Wissen und Unternehmenskultur sowie agile Arbeitsmethoden weiterzuentwickeln. Es geht nicht nur darum, das nächste „Einhorn“ (Startup mit einer Marktbewertung von mindestens einer Milliarde Dollar) zu finden, sondern Zugang zu einer anderen Herangehensweise und neuen technologischen Trends zu bekommen. Dazu gehört für den Staat auch, Gründer aktiv in die Suche nach Lösungen für zentrale Herausforderungen einzubinden.
Wachstumsförderung in Bayern auf hohem Niveau fortsetzen

Die Bayern Kapital GmbH hat seit ihrer Gründung 1995 als hundertprozentige Tochter der LfA Förderbank Bayern mehr als 290 Millionen Euro Beteiligungskapital in knapp 270 innovative technologieorientierte Unternehmen mit einem Standort in Bayern investiert. Der 2015 hinzugekommene Wachstumsfonds Bayern ermöglicht eine Investition von bis zu 8 Millionen Euro pro Unternehmen für besonders potenzialträchtige Startups. Dieser Wachstumsfonds muss auch in den kommenden Jahren fortgesetzt und mit entsprechenden Haushaltsmitteln hinterlegt werden.
Zugang zu Wagniskapital in Europa, Deutschland und Bayern verbessern

Die Rahmenbedingungen für private Investitionen in Start-ups müssen verbessert werden. Gerade für institutionelle Anleger müssen Anreize gesetzt werden.
In Europa steht volumenmäßig deutlich weniger Wagniskapital (Venture Capital, VC) zur Verfügung als in Asien und den USA (vgl. Abbildung unten). Im Jahr 2018 haben Investoren rund 4,6 Mrd. Euro in deutsche Start-ups gesteckt, rund sieben Prozent mehr als 2017. Sowohl bei der Gesamtsumme als auch bei der Anzahl der finanzierten Unternehmen liegt Berlin mit deutlichem Abstand vorne, gefolgt von Bayern und Hamburg. In Bayern und Hamburg haben sich allerdings die Investitionen von 2017 zu 2018 verdoppelt (Bayern: von 407 auf 802, Hamburg sogar von 230 auf 548), während sie in Berlin im selben Zeitraum gesunken sind (von 2.969 auf 2.613 Mio. Euro). Von den Sektoren profitiert in Deutschland derzeit noch der Bereich E-Commerce am stärksten, gefolgt von Fintech und Software / Analytics, Mobilität und Gesundheit. Bei den weitaus meisten Finanzierungsrunden in den letzten Jahren (369 von 498 in 2017, 427 von 587 in 2018) ging es um Gesamtsummen von 5 Mio. Euro und weniger; nur bei jeweils sechs Unternehmen (also rund einem Prozent) ging es um mehr als 100 Mio. Euro.
Der Unterschied zwischen Europa, Asien und den USA tritt sogar noch deutlicher zutage, wenn es um die späteren Phasen der Unternehmensgründung geht (vgl. Abbildung unten).
In Finanzierungsrunden unter Beteiligung ausländischer Investoren wird fast viermal so viel Kapital in technologieintensive europäische Wachstumsunternehmen investiert wie in rein inländischen Runden. Die ausländischen Investitionen in inländische Start-ups sind wichtig, zumal die Geldgeber neben den finanziellen Mitteln auch Kontakte und Know-how für die Internationalisierung mitbringen. So sind die Unternehmen mit ausländischen Investoren wirtschaftlich erfolgreicher. Sie werden zu ca. zwei Drittel auch an ausländische Investoren verkauft bzw. gehen im Ausland an die Börse. Das mag jedenfalls zum Teil an einer besseren, gezielteren Auswahl liegen, sicher aber auch an einer kompetenten Unterstützung.
Daneben müssen auch die Investitionen aus dem Inland gestärkt werden. Deutsche High Tech Start-ups dürfen künftig nicht mehr nur deshalb auf ausländische Kapitalgeber angewiesen sein, weil keine inländischen zur Verfügung stehen – dies führt letztlich zu einer Abwanderung von Know-how und Wertschöpfung. Dazu bieten sich mehrere parallele Instrumente an (Vgl. Abbildung unten), die parallel eingeführt bzw. gestärkt werden müssen.
Das in Start-ups häufig genutzte Instrument der Mitarbeiterbeteiligung spielt (wie bei vielen etablierten Unternehmen) auch eine wichtige Rolle für die Fachkräftesicherung und die Stabilisierung des jungen Unternehmens. Die gemeinsame Entwicklung von Standardverträgen durch die entsprechenden Verbände, Gründerzentren und staatlichen Stellen würde Unsicherheiten in rechtlicher und steuerlicher Sicht ausräumen.
Kurzzeitig hat sich die Ausgabe von sogenannten Token (digitale „Gutscheine“, die auf den Börsen für Kryptowährungen handelbar sind) unter Verwendung der Blockchain- Technologie als neue Form des Crowdfunding einiger Beliebtheit erfreut, auch bekannt unter dem Schlagwort Initial Coin Offering. Im Jahr 2017 wurden auf diese Weise rund sechs Milliarden Dollar eingesammelt. Investoren erhalten in der Regel keine Mitbestimmungsrechte und tragen das unternehmerische Risiko (aber auch die Chancen) über die Wertveränderung des Tokens voll mit. Für Start-ups war an dem Modell vor allem der geringe bürokratische Aufwand attraktiv. Zwischenzeitlich haben die Aufsichtsbehörden sowohl in den USA als auch in Deutschland reagiert: die BaFin prüft nunmehr im Einzelfall, ob es sich um ein Wertpapier oder eine Vermögensanlage handelt; in beiden Fällen greift dann die Regulierung ein. Die Gewährleistung eines Level Playing Fields ist richtig; trotzdem sollte geprüft werden, ob Erleichterungen geschaffen werden können, die insgesamt dazu führen, Crowdinvesting noch attraktiver zu machen.
Abbau steuerlicher Hindernisse für Start-ups und deren Finanzierung

Das Steuerrecht bietet einige weitere Ansatzpunkte, die genutzt werden müssen, um das Gründungsgeschehen am Standort zu fördern.
Bei neu gegründeten Unternehmen sollte auf die Pflicht zur generellen Abgabe von monatlichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen verzichtet werden, um die jungen Unternehmen von Aufwand und Kosten zu entlasten.
Vorschriften zum Verlustuntergang (Untergang bisher aufgelaufener Verlustvorträge bei Anteilseignerwechsel) müssen – letztlich für alle Unternehmen – dahingehend angepasst werden, dass die Ausnahmeregelungen für innovative Unternehmen auch bei Veränderungen des Geschäftsmodells eingreifen.
Die Regeln zur Mindestbesteuerung müssen überarbeitet werden: Sie führen derzeit dazu, dass Start-ups Steuern zahlen müssen, sobald sich erste signifikante Erträge einstellen, obwohl aus den Vorjahren noch Verluste in den Büchern stehen. Das belastet die Bilanz und beeinträchtigt gegebenenfalls die Möglichkeit, weitere Entwicklungsschritte zu finanzieren.
Einen Impuls für Wagniskapital gäbe es, wenn die Wagniskapitalgeber ihre Aufwendungen für Investments in junge, innovative Unternehmen (Gründungsfinanzierungen und Anteilswerber) steuerlich sofort geltend machen könnten, weil das Risiko dadurch abgefedert würde. Wenn sich das Investment profitabel entwickelt, wird der Sofortabzug durch die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen wieder ausgeglichen.
Die Umsatzsteuerbefreiung für die Verwaltungstätigkeit bestimmter Fondsverwaltungsgesellschaften sollte auf Venture-Capital-Fonds erweitert werden, um faire Wettbewerbsbedingungen mit ausländischen Wettbewerbern herzustellen.
Auch für Kleinanleger (z. B. im Rahmen eines Crowdfunding) müssen bessere Anreize gesetzt werden. Derzeit werden sie zwar nicht steuersystematisch benachteiligt, wohl aber faktisch, weil sie mangels Masse regelmäßig nicht die Möglichkeit haben, Verluste aus ihren Investments mit Gewinnen aus anderen Kapitalerträgen zu verrechnen. Zu prüfen ist hier die Einführung eines Freibetrags, bis zu dem im Privatvermögen entstandene Verluste aus Kapitalanlagen mit positivem Einkommen aus anderen Einkommensarten verrechnet werden können.
Technische Ausstattung von Gründerzentren

Gerade im Hightech-Bereich muss der Staat dafür Sorge tragen, dass eine Gründung nicht an der infrastrukturellen Ausstattung für die Entwicklung scheitert. Teuer ist diese in allen klassischen Wissenschaften bzw. überall dort, wo es um stoffliche Handhabung geht. Technische Gerätschaften auf Spitzenniveau (u. a. Laborausstattung, Messtechnik etc.) müssen für Startups und junge Unternehmen zugänglich sein. Sie sollten ebenso bei der Durchführung von Tests und Zertifizierungsverfahren unterstützt werden. Entwicklung auf Spitzenniveau und Technologietransfer muss auf allen Zukunftsfeldern möglich sein, beispielsweise in der Nanotechnologie. Dazu gehört auch, einzelnen Start-ups Zugang zum Supercomputer des LRZ zu gewähren, um dort ihre Anwendungen entwickeln und testen zu können. Privatfinanzierte oder kofinanzierte Gründerzentren nach dem Vorbild von Playground Global – einer Mischung aus Venture-Fonds, Inkubator und Entwicklungszentrum für Hard- und Software – wären eine sinnvolle Ergänzung. Ziel ist es, Ressourcen (z. B. Hardware wie verschiedene Typen von 3D-Druckern, Sensoren, mechatronische Elemente, aber auch neueste Software-Tools), Betreuung und Finanzierung von Start-ups aus einer Hand bereitzustellen. Den Bedarf müssen staatliche Stellen gemeinsam mit Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft definieren. Generell sind Co-Funding-Strukturen zu etablieren bzw. erste vorhandene Ansätze zu stärken
Vernetzung weiter vorantreiben

Wie schon in allen vergangenen Handlungsempfehlungen betont, muss der Staat weiter seinen Beitrag dazu leisten, Gründer und junge Unternehmen mit den etablierten Unternehmen zusammenzubringen. Gerade am Standort Bayern liegt eine für die Gründerszene relevante besondere Stärke in der Präsenz einer starken Industrie, aber auch wichtiger Dienstleistungsschwerpunkte etwa im Bereich des Finanz- und Versicherungswesens. Zur Vernetzung gehört auch, Unternehmen auf den Campus der Universitäten zu holen.
Gründerzentren besser nutzen

Die Kompetenzen in den zahlreichen Gründerzentren müssen besser genutzt werden, um Lösungen für aktuelle Herausforderungen zu finden. Wettbewerbe und Ausschreibungen haben sich hierfür als probates Mittel erwiesen. Bei größer angelegten Diskussionsforen wie dem Energiegipfel oder dem Zukunftsforum Automobil sollte die Einbindung von Start-ups in die Ideenfindung und Lösungsentwicklung zum Standard werden.
Stärken des Europäischen Binnenmarkts ausspielen
Der Europäische Binnenmarkt muss als Ganzes verstanden und genutzt werden, wenn es um innovative Produkte und neue Geschäftsmodelle geht. Seine Vollendung muss weiter vorangetrieben werden.
Die Analysen der Studie TechCheck 2019. Erfolgsfaktor Mensch. zeigen vielfach, dass zwar Deutschland und andere europäische Länder auf wichtigen technologischen Zukunftsfeldern nicht mit den USA oder China mithalten können, wohl aber die EU als Ganzes. Die Positionierung im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist ein Beispiel dafür. Darauf muss weiter aufgebaut werden: mit einer ambitionierten Forschungsförderung und innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen.
Das ab 2021 laufende neunte Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe muss die Erkenntnisse aus dem aktuell laufenden Programm aufnehmen und die im Fokus stehenden Schlüsseltechnologien wie die Künstliche Intelligenz noch stärker fördern. Die Vorgaben für Beantragung und Abwicklung von Forschungsfördergeldern müssen weiter vereinfacht und stärker an der betrieblichen Praxis orientiert werden. Die Abwicklung der Ausschreibung und Projekte im Rahmen von Next Generation Internet wird auch von Start-ups als handhabbar empfunden und sollte insgesamt Schule machen. Auch die Anforderungen der Industrie müssen in den Programmen und Programmaufrufen stärker ins Zentrum gerückt werden – Ziel sollte eine Einbettung in eine europäische Industriestrategie sein.
Angesichts der überragenden Bedeutung von Forschung, Entwicklung und Innovation und des ausgegebenen Ziels von drei Prozent des BIP im EU-Durchschnitt (derzeit rund zwei Prozent) ist das mit 100 Milliarden Euro avisierte Gesamtbudget zu gering bemessen und sollte aufgestockt werden. Bayern und Deutschland liegen bei den eingeworbenen Mitteln auf Spitzenpositionen, die es zu halten gilt.
Beihilferecht und Kartellrecht (insbesondere Unternehmenszusammenschlüsse und Modelle zur Datennutzung etwa auf Plattformen) müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Bei Bedarf sind moderate Anpassungen erforderlich, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu sichern und wirkungsvolle Impulse auf wichtigen Technologiefeldern zu ermöglichen. Staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen sind auf das Notwendigste zu begrenzen.
Unbedingt zu vermeiden sind Eingriffe, die die europäischen Unternehmen schwächen, wie beispielsweise eine neue EU-Digitalsteuer, weitere Verschärfungen im Datenschutzrecht oder eine überzogene Regulierung von Algorithmen und autonomen Systemen. Gerade auf dem wichtigen Feld der Digitalisierung müssen möglichst innovationsfreundliche Rahmenbedingungen gelten, um die Entstehung neuer Angebote im Binnenmarkt zu fördern. Das geltende Recht gewährleistet zu Recht bereits ein hohes Schutzniveau und wird auch gegenüber außereuropäischen Wettbewerbern durchgesetzt.

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