Innovationspolitik
Der Staat muss ein konkretes Bild davon haben, wie das eigene Innovationssystem funktioniert und insbesondere wissen:
- wie die Diffusionsgeschwindigkeit im Vergleich zu wichtigen Wettbewerbern ist und was sie beeinflusst
- in welchen Phasen auf nationaler Ebene die Wertschöpfung hoch ist und wo im internationalen Vergleich Potenziale brachliegen
- welche staatlichen Hebel in welchen Sektoren wie effektiv sind (werthaltige Innovationen auslösen / anreizen)
- wie der aktuelle Stand der Implementierung bei Schlüsseltechnologien in den heimischen Unternehmen ist
um auf dieser Basis eine strategische Zielvorstellung zu entwickeln und konsequent umzusetzen.
Rolle des Staats im Innovationssystem
Der Staat tritt im Innovationssystem als Finanzierer, Regulierer und als Betreiber von Infrastruktur auf. Sein Einfluss auf der Nachfrage- wie der Angebotsseite ist groß. Umso wichtiger ist es, dass er ihn bewusst und zielgerichtet im Sinne des Standorts ausübt
Die nationale Innovationspolitik fokussiert bisher stark auf die Angebotsseite, während die Nachfrageseite (z. B. staatliches Beschaffungswesen, aber auch Auswirkungen politischer Grundsatzentscheidungen beispielsweise in der Energiepolitik) kaum beachtet, jedenfalls aber nicht strategisch gestaltet wird.
Die deutsche Innovationspolitik kann grob in vier Phasen unterteilt werden:
Phase 1
Ausbau der Grundlagenforschung, mit überwiegend missionsorientierten Programmen
Phase 2
direkte Förderung der industriellen F+E, Ausrichtung auf Schlüsseltechnologien
Phase 3
Diffusionsorientierte Programme, Stärkung der Verbundforschung und Netzwerke; breitere Verteilung der Verantwortungen auf die Ressorts und Ausbau der Aktivitäten von Bundesländern und EU; Beeinflussung von Rahmenbedingungen
Phase 4
Bündelung von Programmen, Fördermaßnahmen und Initiativen, an globalen Herausforderungen und Metazielen (z. B. Akzeptanz) orientierte Missionen; Dialogmechanismen und Beratungsgremien
Das Innovationssystem als solches wandelt sich ebenfalls:
Chancen in Vordergrund stellen, mit Risiken vernünftig umgehen
Der Staat muss bei der Regulierung die richtige Gewichtung zwischen Chancen und Risiken finden. Während Chancen viel stärker in den Vordergrund gerückt werden müssen, ist beim gesetzgeberischen Umgang mit Risiken deutlich stärker als bisher nach dem Grad der Gefährdung zu differenzieren.
Innovationsfreundlichen Rechtsrahmen schaffen
Der Staat muss einen Rechtsrahmen schaffen, der mindestens so innovationsfreundlich und zukunftsorientiert ist wie die Menschen und Unternehmen, die wir für die Spitzenforschung und die Entwicklung weltweit erfolgreicher Anwendungen aus technologischen Neuerungen brauchen.
Die Studie TechCheck 2019. Erfolgsfaktor Mensch. zeigt, dass ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen Regulierung und Innovationstätigkeit besteht. Während Deutschland in bestimmten Aspekten des weiten Felds „Qualität der Regulierung“ sehr gut dasteht (Rechtssicherheit, Stabilität des politischen Systems etc.), schneiden wir uns in anderen Bereichen selbst Chancen ab, etwa durch das weit überdurchschnittliche Niveau der Unternehmensbesteuerung, hohe Arbeitskosten und die Unflexibilität unseres Arbeitsrechts.
Vieles von dem, was als neue Regulierungsgegenstände diskutiert wird, regelt das heutige Recht bereits zufriedenstellend, bzw. kann im Rahmen der Vertragsfreiheit zwischen den Beteiligten gestaltet werden. Darüber hinaus muss auch das geltende Recht auf mögliche vermeidbare Hemmnisse überprüft und bei Bedarf angepasst werden. In den bisherigen Handlungsempfehlungen wurden bereits viele Aspekte hervorgehoben, darunter die Haftung für autonome Systeme und den KI-Einsatz, die weiter ihre Gültigkeit behalten.
Mehr Raum für Experimente
Damit ein dichtes Regulierungssystem Innovatoren nicht abschreckt, muss immer Raum für Experimente bestehen. Anderenfalls werden neue Anwendungen außerhalb von Deutschland oder Europa erprobt und letztlich auch zur Marktreife gebracht. Um einen echten „Innovations-Push“ zu erreichen, muss man Regulierung jedenfalls in einem definierten Bereich überschreiten dürfen.
Reallabore (Living Labs), in denen andere (weniger strikte) regulatorische und gesetzliche Bestimmungen gelten, schaffen so einen Raum zum Experimentieren. Sie ermöglichen, in (zeitlich und räumlich begrenzten sowie rechtlich abgesicherten) Testräumen Erfahrungen mit Innovationen unter realen Bedingungen zu sammeln. Hier können die Anwendungen von Forschungsergebnissen unter realen Bedingungen getestet und weiterentwickelt werden. Dazu sind Ausnahmegenehmigungen erforderlich, die allgemein geltendes Recht zeitweise außer Kraft setzen. Auch bedarf es dazu gegebenenfalls neuer Projekt- und Förderformate, um die Forschungs- und die Umsetzungsperspektive stärker zusammenzubringen.
Dabei geht es nicht um eine Deregulierung oder den Abbau von Sicherheits- und Schutzstandards, sondern darum, einen geeigneten Rechtsrahmen –zum Beispiel für den digitalen Wandel – auszuloten. Experimentier- bzw. Öffnungsklauseln für Reallabore existieren bspw. bereits im Personenbeförderungsgesetz und in der Drohnenverordnung. Teilweise sind allerdings selbst dem experimentierwilligen Staat Grenzen gesetzt, die aufgehoben werden müssen. Ein Beispiel ist der Datenschutz: Die DSGVO sieht keine Ausnahmen für Reallabore und Co vor, in denen die europäischen Vorgaben außer Kraft gesetzt werden können. Das muss der gesetzliche Rahmen aber immer zulassen, auf nationaler wie auf europäischer Ebene.
Hinzukommen muss ferner die Bereitschaft des Staates, aus den Erfahrungen in Experimentierräumen zu lernen und den bestehenden Regulierungsrahmen tatsächlich anzupassen.
Neben rechtlichen Experimentierräumen sind reale Testfelder sehr wichtig, wie bereits in früheren Handlungsempfehlungen für das autonome Fahren betont, und müssen stetig weiter ausgebaut werden. Ein Beispiel sind die Einrichtung von Sonderforschungszonen am Kompetenznetzwerk Künstliche Maschinelle Intelligenz „kini.bayern" (vgl. Kachel 02.3.2): In dieser Kooperation von TUM / MSRM, fortiss, LMU, Fraunhofer, Helmholtz und der starken bayerischen Industrie sollen die realitätsnahen Forschungs- und Testeinrichtungen in Form von Sonderforschungszonen, also Living Labs, den experimentellen Kristallisationspunkt von kini.bayern darstellen. Diese Sonderforschungszonen bestehen aus domänenspezifischen, professionell betriebenen Pilotinfrastrukturen für Maschinelle Intelligenz am Standort München. Hier können nicht nur neue Technologien und Systeme erprobt und im Reifegrad signifikant fortentwickelt, sondern auch zulassungsrelevante Prozesse bereitgestellt werden. Folgende drei Sonderforschungszonen sollten unter Berücksichtigung zentraler technologischer Zukunftsfelder bzw. Missionen zunächst aufgebaut werden: Zukunft der Arbeit: Factory of the Future, Zukunft der Gesundheit: Intelligent Hospital Ward, Zukunft der Mobilität: AI Flight and Mobility Testfeld. Ziel ist es, die Spitzenforschung zu bündeln und einen international sichtbaren Kristallisationspunkt für ein stetig wachsendes Kompetenznetzwerk im Bereich der Maschinellen Intelligenz zu schaffen.
Gründerförderung
Unternehmensgründungen haben einen wichtigen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Den Beitrag kann man nicht nur in klassischen volkswirtschaftlichen Kennzahlen messen, er liegt auch in der Vernetzung und im Wissenstransfer. Während Kapitalgeber ihr Netzwerk und ihr Know-how zur Verfügung stellen und etablierte Unternehmen als Kooperationspartner zudem Marktzugänge schaffen, hilft der Umgang mit Start-ups ihnen umgekehrt dabei, Technologien, Wissen und Unternehmenskultur sowie agile Arbeitsmethoden weiterzuentwickeln. Es geht nicht nur darum, das nächste „Einhorn“ (Startup mit einer Marktbewertung von mindestens einer Milliarde Dollar) zu finden, sondern Zugang zu einer anderen Herangehensweise und neuen technologischen Trends zu bekommen. Dazu gehört für den Staat auch, Gründer aktiv in die Suche nach Lösungen für zentrale Herausforderungen einzubinden.
Stärken des Europäischen Binnenmarkts ausspielen
Der Europäische Binnenmarkt muss als Ganzes verstanden und genutzt werden, wenn es um innovative Produkte und neue Geschäftsmodelle geht. Seine Vollendung muss weiter vorangetrieben werden.
Die Analysen der Studie TechCheck 2019. Erfolgsfaktor Mensch. zeigen vielfach, dass zwar Deutschland und andere europäische Länder auf wichtigen technologischen Zukunftsfeldern nicht mit den USA oder China mithalten können, wohl aber die EU als Ganzes. Die Positionierung im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist ein Beispiel dafür. Darauf muss weiter aufgebaut werden: mit einer ambitionierten Forschungsförderung und innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen.
Das ab 2021 laufende neunte Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe muss die Erkenntnisse aus dem aktuell laufenden Programm aufnehmen und die im Fokus stehenden Schlüsseltechnologien wie die Künstliche Intelligenz noch stärker fördern. Die Vorgaben für Beantragung und Abwicklung von Forschungsfördergeldern müssen weiter vereinfacht und stärker an der betrieblichen Praxis orientiert werden. Die Abwicklung der Ausschreibung und Projekte im Rahmen von Next Generation Internet wird auch von Start-ups als handhabbar empfunden und sollte insgesamt Schule machen. Auch die Anforderungen der Industrie müssen in den Programmen und Programmaufrufen stärker ins Zentrum gerückt werden – Ziel sollte eine Einbettung in eine europäische Industriestrategie sein.
Angesichts der überragenden Bedeutung von Forschung, Entwicklung und Innovation und des ausgegebenen Ziels von drei Prozent des BIP im EU-Durchschnitt (derzeit rund zwei Prozent) ist das mit 100 Milliarden Euro avisierte Gesamtbudget zu gering bemessen und sollte aufgestockt werden. Bayern und Deutschland liegen bei den eingeworbenen Mitteln auf Spitzenpositionen, die es zu halten gilt.
Beihilferecht und Kartellrecht (insbesondere Unternehmenszusammenschlüsse und Modelle zur Datennutzung etwa auf Plattformen) müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Bei Bedarf sind moderate Anpassungen erforderlich, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu sichern und wirkungsvolle Impulse auf wichtigen Technologiefeldern zu ermöglichen. Staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen sind auf das Notwendigste zu begrenzen.
Unbedingt zu vermeiden sind Eingriffe, die die europäischen Unternehmen schwächen, wie beispielsweise eine neue EU-Digitalsteuer, weitere Verschärfungen im Datenschutzrecht oder eine überzogene Regulierung von Algorithmen und autonomen Systemen. Gerade auf dem wichtigen Feld der Digitalisierung müssen möglichst innovationsfreundliche Rahmenbedingungen gelten, um die Entstehung neuer Angebote im Binnenmarkt zu fördern. Das geltende Recht gewährleistet zu Recht bereits ein hohes Schutzniveau und wird auch gegenüber außereuropäischen Wettbewerbern durchgesetzt.
Handlungsempfehlungen: Potenziale bayerischer Zukunftstechnologien - Position in den Bereichen Robotik und Künstliche Intelligenz weiter ausbauen
Handlungsempfehlungen: Potenziale bayerischer Zukunftstechnologien - Handlungsbedarf bei 3D-Anwendungen und in der Luft- und Raumfahrt
Handlungsempfehlungen: Potenziale bayerischer Zukunftstechnologien - Chancen neuer Technologien in den Vordergrund stellen
Handlungsempfehlungen: Spitzenleistungen bei neuen Technologien – Einführung neuer Tools und Industriestrategie
Publikationen
TechCheck 2019. Erfolgsfaktor Mensch.
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