Strategische Handlungsempfehlungen
Technologieführerschaft für die Zukunft sichern
Um Bayern für die Zukunft zu rüsten, müssen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft die Weichen richtig stellen und zusammenwirken. Nur gemeinsam ist der Erfolg in einer technologiegetriebenen Wirtschaft möglich. Das betrifft grundsätzliche Strategien ebenso wie konkrete Einzelmaßnahmen.
Stärken stärken
Wie in fast allen Volkswirtschaften hat sich auch in Bayern in den vergangenen 20 Jahren die Spezialisierung auf solche Bereiche verstärkt, in denen bereits ein komparativer Vorteil besteht. Für die bayerische Industrie sind der Kraftwagenbau und der Maschinenbau bei der Produktion und Ausfuhr sowie Forschung und Entwicklung die mit Abstand wichtigsten Einzelbranchen. Global sind diese die größten Exportbranchen und sichern derzeit Bayerns wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb müssen Kraftwagen- und Maschinenbau in jedem Zukunftskonzept der bayerischen Wirtschaft eine tragende Rolle spielen. Vorhandenen Stärken sind systematisch auszubauen und vor allem die Chancen der Digitalisierung voll auszuschöpfen.
Klumpenrisiko durch Diversifikation auflösen
Die relative Bedeutung des Automobil- und Maschinenbaus ist in Bayern noch höher als im Bundesdurchschnitt. Durch ihren Erfolg sind sie auch für andere Branchen von großer Wichtigkeit. Mit einer derart starken Schwerpunktsetzung ist ein Klumpenrisiko verbunden: Es besteht das Risiko, dass ein Abschwung in dieser für Bayern zentralen Branche die Gesamtkonjunktur in Mitleidenschaft zieht. So ist der Fahrzeugbau stark konjunkturabhängig, und das Branchenwachstum findet derzeit in nur wenigen Wachstumsregionen statt. Gleichzeitig treten neue Konkurrenten, v.a. aus der IKT-Branche auf, wie bspw. Google und Apple, die mit autonomen Fahrzeugen und eigenen Diensten den Markt revolutionieren wollen.
Die Wirtschaftsförderung muss sich also auch auf die Kompensation von Schwächen und auf Diversifikation fokussieren. Der Bedeutungszuwachs von Technologieschnittstellen bietet daher auch die Chance, bisher unterrepräsentierte Branchen und Technologien auszubauen. Besonderer Handlungsbedarf besteht in den Bereichen IKT und Digitalisierung, intelligenter Verkehr und Mobilität sowie bei der Luft- und Raumfahrt. Ähnlich stellt sich die Situation in den Bereichen Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft dar, die stark von der Digitalisierung profitieren können. Zudem muss das Zusammenwachsen der Schlüsseltechnologien etwa bei Nano- /Neue Materialien, Biotechnik und Bioökonomie und IKT gestärkt werden.
Potenziale der Digitalisierung und des Internets heben
Die Informations- und Telekommunikationstechnologie nimmt eine Schlüsselstellung für die Entwicklung und die Vernetzung der anderen Technologiebereiche ein. Allerdings ist in wesentlichen Bereichen der IKT die deutsche und bayerische Wirtschaft ohne Bedeutung. Die Hardware und Chip-Produktion, die Produktion von IKT-Geräten für den Massenmarkt und die Softwareentwicklung (mit Ausnahme spezieller Bereiche) sind kaum existent. Dies führt zu einem geringen Einfluss auf die Setzung von Standards und die Definition von Schnittstellen. Trotz der guten Ausgangslage im Bereich des Maschinenbaus und der Produktionstechnologien ist die Abwesenheit relevanter IKT-Akteure ein Risiko für die weitere Entwicklung der bayerischen Schlüsselbranchen. Daher ist die Behebung des Mangels an systemführenden IT-Unternehmen ebenso eine wesentliche Herausforderung wie die Sensibilisierend aller Unternehmen für die Herausforderungen der Digitalisierung. Die bestehende staatliche Unterstützung muss sich auf allen Ebenen daran neu ausrichten.
Der Freistaat richtet aktuell ein Zentrum Digitalisierung.Bayern ein, in dem die Kompetenzen von Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Gründern gebündelt werden. Dieses Zentrum besteht aus einer Steuerungseinheit in Garching, der Schaffung von 20 Professuren und Forscherteams, die über ganz Bayern verteilt sind, sowie der Bildung von bis auf Weiteres fünf Plattformen, auf denen zu den wichtigsten Feldern der Digitalisierung geforscht werden soll und Netzwerke gebildet werden:
– Plattform Industrie 4.0
– Plattform Vernetzte Mobilität
– Plattform Digitale Gesundheitswirtschaft
– Plattform Energie
– Plattform IT-Sicherheit
Es ist sind zusätzliche Plattformen zu den Themen Digitale Arbeitswelt, Digitales Planen und Bauen sowie ggf. auch E-Government bzw. Verwaltung 4.0 erforderlich; bei Bedarf sind weitere Ergänzungen vorzunehmen. Um der wachsenden Bedeutung von Daten (Sicherheit, Sicherung, Verarbeitung und Verwertung) Rechnung zu tragen, müssen wir auf deutscher und europäischer Ebene Standards setzen und eigene Lösungen entwickeln. Das ist in sämtlichen Plattformen zu berücksichtigen.
Die Arbeit der Plattformen muss so organisiert werden, dass insbesondere der Mittelstand profitiert, Informationen über Chancen und Risiken der Digitalisierung erhält und diese in Produktion und Unternehmensalltag nutzen kann. Gleichzeitig muss die Arbeit des Zentrums und der Plattformen so gesteuert werden, dass sie zur Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Chancen und Potenzialen der Digitalisierung beiträgt.
Die Digitalisierung muss in der öffentlichen Verwaltung konsequent umgesetzt werden. Allen Bürgern und Unternehmen in Bayern muss unabhängig von ihrem Wohn- und Standort ein digitales Serviceangebot der Verwaltungen zur Verfügung stehen, mit dem sie einfach, schnell, sicher und rund um die Uhr ihre „Behördengänge“ online erledigen können. Es muss ein zentraler Zugang zu Verwaltungsleistungen geschaffen werden, unabhängig davon, ob es sich um eine staatliche oder kommunale Behörde handelt. Anzupassen ist auch der Rechtsrahmen für die digitale Kommunikation mit der Verwaltung; die Sicherheitsmaßnahmen (Datensicherheit, IT-Security) müssen laufend höchsten Anforderungen entsprechen. Die öffentliche Verwaltung darf mit den von ihr erhobenen (nicht personenbezogenen) Daten keine Wissensmonopole schaffen, sondern muss sie zur Nutzung freigeben (Open Data).
Wirtschaftsorganisationen müssen die Unternehmen beim digitalen Enabling unterstützen. Das beginnt beim Aufbau von Plattformen, geht über das Aufzeigen von Best-Practice-Beispielen, die Messung des Digitalisierungsgrades, eine Analyse von Potenzialen und Geschäftsmodellen bis hin zur Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern. Entsprechende Angebote werden derzeit durch die Metall- und Elektroarbeitgeber bayme vbm vorbereitet.
Solche Services für die Unternehmen – gerade kleinere und mittelständische Betriebe – sind in allen Wirtschaftsbereichen erforderlich. Hier sind einerseits andere Branchenverbände gefordert, vergleichbare Angebote zu schaffen, andererseits muss der Staat ergänzend dabei unterstützen, die Beispiele in die Fläche zu tragen.
Start-ups sind besonders geeignet, um kurze Innovationszyklen und teilweise disruptive Veränderungen durch digitale Technologien aufzugreifen. Damit können sie zugleich Schwächen (z.B. Reaktionszeiten, interne Verwaltungsabläufe) großer Unternehmen ausgleichen. Die staatliche Innovationspolitik muss daher in besonderem Maße Start-ups im IKT-Bereich erfassen.
IT-Sicherheit ist ein Zukunftsmarkt – und notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche digital-basierte Wertschöpfung –, auf dem wir mit unserem Know-how bei Technik einerseits und bei der Setzung rechtlicher Rahmenbedingungen und Zertifizierungsstandards andererseits von einer Spitzenposition aus starten. Flankiert werden muss dies durch branchenspezifische Weiterbildungen und Zertifizierungsangebote, um das Know-how in die Fläche zu tragen, beispielsweise mit Workshops zu Cyber-Security für Management und IT-Experten.
Ein weiteres Beispiel für eine eigene bayerische Entwicklung im Bereich Digitalisierung ist die Nutzung der 3D-Modellierung und -Visualisierung für den virtuellen „barrierefreien“ Besuch bayerischer Landschaften, Städte und Baudenkmäler über das schnelle Internet. Sie stärkt den Tourismus, spricht die breite Bevölkerung an und zeigt das technisch Machbare (u.a. Bewältigung von Big Data), hat aber auch für viele andere Bereiche Bedeutung, etwa den Denkmalschutz, städtebaulichen Maßnahmen, Outdoor-Navigation, die Bergrettung und den Polizeieinsatz. Zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten für 3D-Anwendungen bestehen beispielsweise auch im Produktionsbereich.
Risiko wagen – Aktive Beteiligung an disruptiven Innovationen
Disruptive Innovationen zerstören herkömmliche Märkte und ersetzen sie durch neue Märkte. Ein Beispiel ist der Übergang von der CD zur Online- Verfügbarkeit von Musik (z.B. Streaming-Dienste), die keine physischen Produktions- und Verkaufsstätten benötigen und dadurch die traditionellen Marktstrukturen der Musikbranche bedeutungslos machen.
Die aktive Beteiligung an disruptiven Innovationen ist wichtig, weil die Veränderungen vor allem die derzeitigen industriellen Stärkefelder und traditionell starke Dienstleistungsbranchen betreffen. So wird beispielsweise im Automobilbau das Element der Telekommunikations- und Informationstechnologien immer wichtiger. Disruptive Innovationen stellen aber auch etwa das Bankenwesen vor große Herausforderungen, wie das Beispiel PayPal zeigt.
Neue Technologien und Geschäftsmodelle sind zunächst eine Chance, selbst wenn sie einen bestehenden Markt tief greifend verändern oder auflösen. Das Risiko ist bei solchen Innovationen, die das Potenzial hätten, den Markt umzukrempeln, naturgemäß besonders hoch, die Chancen aber auch. Diese Erkenntnis muss sich in der Förderpolitik abbilden, also bei Risikoübernahme bzw. Förderquoten von mindestens 40 Prozent.
Um das Potenzial von disruptiven Innovationen zu heben, ist das treffsichere und frühzeitige Erkennen der neuen Technologie und ihrer kommenden Bedeutung entscheidend. Ideen zu neuen technologischen Trends kommen häufig aus jungen und kleinen Unternehmen, für den Erfolg auf dem Massenmarkt (Massendurchdringung, Vertrieb etc.) sind in der Regel Kooperationen mit großen Unternehmen notwendig. Entsprechende Kooperationsformen, zum Beispiel mit Start-ups aus der Wissenschaft, können wiederum durch den Staat unterstützt werden.
Eigene Entwicklungen, auch auf bestehenden Märkten
Die bestehende Marktführerschaft anderer darf das eigene Engagement nicht ausschließen, wenn das Wachstumspotenzial der Technologie groß ist. Ein Beispiel sind unbemannte Luftfahrzeuge (Drohnen): Die Produkte der Konkurrenz sind am Markt verfügbar, die Marktführerschaft (Israel, USA und Kanada mit deutlichem Abstand) ist geklärt und Deutschland ist heute abgeschlagen. Es handelt sich aber um einen Zukunftsmarkt, gerade auch für die zivile Nutzung. In vielen Einzelbereichen erarbeiten heimische Unternehmen heute schon Lösungen, die die Wettbewerber einsetzen. Die Wertschöpfung findet derzeit aber hauptsächlich im Ausland statt.
Die Entwicklung, auch der Drohnen, insgesamt im Inland muss gefördert und mit Rahmenbedingungen flankiert werden, die einen Einsatz – beispielsweise für Transportzwecke oder zur Erhebung von Daten aus der Luft in der Landwirtschaft – ermöglichen, ohne unsere hohen Sicherheitsstandards aufweichen zu müssen.
Ein anderes Beispiel ist das Vorantreiben von Projekten wie Galileo, mit denen ein unabhängiger weiterer Zugang zu Daten gesichert werden kann, die beispielsweise für die Entwicklung intelligenter Verkehrssysteme wichtig werden.
Überkommene Trennungen aufgeben, Vernetzung abbilden
Nicht nur die Zusammenarbeit von Großunternehmen mit kleinen, innovativen Unternehmen sichert die Zukunftsfähigkeit, auch die Kooperation über die klassischen Technologie- und Branchengrenzen hinweg ist notwendig.
Die traditionelle statistische Klassifikation von Branchen und Sektoren bildet die tatsächlichen Wertschöpfungsstrukturen unserer Wirtschaft nicht mehr ab. Die einzelnen Wirtschaftsbereiche sind mittlerweile so stark miteinander vernetzt, dass die bestehenden Sektoren- und Branchendefinitionen ihre Zweckmäßigkeit mehr und mehr verlieren.
Der – bisher sehr erfolgreichen – bayerischen Technologieförderung liegt ein Technologiebild der 90er-Jahre zugrunde. Die Strukturen und technologischen Entwicklungspfade haben sich fundamental geändert. Die Technologieförderprogramme müssen deshalb neu an den aktuellen technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen Bayern steht, ausgerichtet werden (vgl. näher Teil B. 04, v. a. 04.8).
Innovationsförderung im weitesten Sinne muss daher grundsätzlich branchen-, sektoren- und technologieübergreifend organisiert werden.
Der gesteigerten Bedeutung von hybrider Wertschöpfung und neuen Geschäftsmodellen muss durch die Bereitstellung von Finanzierungsmodellen, Demonstratoren und Inkubatoren Rechnung getragen werden.
Schlüsseltechnologien müssen zu Handlungsfeldern gebündelt werden:
– Digitalisierung (einschl. Elektronik, Mechatronik, Automation)
– Energietechnik (einschl. Umwelttechnologie)
– Gesundheit (Biotechnologie, Medizintechnik, Ernährung)
– Materialien (einschl. Chemie, Nanotechnologie)
– Mobilität, Automotive (Luft- und Raumfahrt, Bahntechnik)
Diese Handlungsfelder müssen in einem Systemansatz mit den technologie- politischen Instrumenten vernetzt werden:
– Forschungsinfrastruktur
– Innovationsförderprogramme
– Cluster
– Gründerförderung
Anwender von Anfang an mitnehmen, Begeisterung entfachen
Die öffentliche Meinung bzw. ein innovationsfreundliches gesellschaftliches Klima sind wichtig bei der Verbreitung und dem wirtschaftlichen Erfolg neuer Technologien. Nicht nur die Abwägung von technischen und ökonomischen, sondern auch die der gesellschaftlichen Chancen und Risiken sind für erfolgreiche Innovationsprozesse von Bedeutung.
Zwar lässt sich eine grundlegende Technologieskepsis in der Bevölkerung statistisch nicht belegen, die Nutzung einiger neuer Technologien wird jedoch durch die öffentliche Meinung erheblich behindert. Ein Beispiel hierfür ist die Gentechnik; ähnliche Bedenken bestehen beim Fracking.
Gleichzeitig zeigen andere Beispiele, wie die Nutzung des Internets in seinen verschiedenen Erscheinungsformen oder die Verbreitung von Mobiltelefonen, dass neue Technologien auch in der Breite positiv aufgenommen und dass auch kurze Innovationszyklen nachvollzogen werden, wenn der Anwender für sich einen fassbaren Nutzen in der Technologie erlebt und die Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext stimmt.
Deshalb besteht der dringende Bedarf einer umfassenden und abgestimmten Strategie zwischen allen relevanten Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Der Bevölkerung muss Gelegenheit gegeben werden, sich in Diskussionsprozesse einzubringen und sich an neuen Entwicklungen möglichst frühzeitig zu beteiligen.
Dazu sind Voraussetzungen erforderlich, die es den relevanten Akteuren ermöglichen, sich frühzeitig an diesen Prozessen zu beteiligen. Von großem Nutzen wäre dafür die Förderung von Forschungsprojekten über eine zielgenau wirkende Partizipation und Nutzerintegration bei gesellschaftlich und wirtschaftlich besonders relevanten Fragen. Das gilt vor allem auch für die Umsetzung von Zukunftstechnologien und -projekten. So können die Grundlagen dafür geschaffen werden, dass die bayerische Wirtschaft und Gesellschaft die Herausforderungen der technologischen Entwicklungen als Chance für Wohlstandsentwicklung und Stabilität nutzen.
Gleichzeitig sind Wissenschaft und Wirtschaft gefordert, einerseits Inhalte und möglichen Nutzen von Forschung und Entwicklung zu verdeutlichen und anderseits die Interessen der späteren Anwender möglichst frühzeitig zu berücksichtigen. Für Letzteres ist Open Innovation ein wichtiger Ansatz.
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