Weiterer Mehrwert
Wertschöpfung im Sinne der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfasst die in den einzelnen Wirtschaftsbereichen erbrachte wirtschaftliche Leistung. Was sich nicht als Differenz zwischen Produktionswert und Vorleistungen berechnen lässt, kann nach der geltenden Systematik in der Regel nicht bei der Ermittlung der Bruttowertschöpfung berücksichtigt werden. Während sich der auf Unternehmensebene entstehende Mehrwert durch neue Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle jedenfalls dem Grundsatz nach in dieser Systematik erfassen lässt – nicht allerdings auf allen Ebenen –, führen insbesondere die Null-Grenzkosten-Eigenschaften der Digitalisierung dazu, dass in verschiedenen Bereichen weiterer Mehrwert entsteht, der von vornherein nicht oder nur sehr unvollständig in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung eingeht. Elemente dieses weiteren Mehrwerts werden im Folgenden beispielhaft skizziert.
Zugang zu Wissen
Die Digitalisierung schafft einen einfachen, kostengünstigen oder sogar kostenlosen und schnellen Zugang zu Wissen und kulturellen Inhalten. Wissensinhalte können unabhängig
von Zeit und Ort recherchiert werden, und insbesondere von einer praktisch unbegrenzten Anzahl an Personen zeitgleich genutzt werden. Wikipedia ist ein prominentes Beispiel. Besonderheiten im Vergleich zu herkömmlichen Nachschlagwerken liegen in der Aktualität, der Erstellung durch die Nutzer selbst, einschließlich einer insgesamt gut funktionierenden Kontrolle, sowie der Transparenz: Es ist jederzeit und für alle nachvollziehbar, wer welche Änderung vorgenommen hat. Somit wird der komplette Diskurs abgebildet. Allerdings handelt es sich nicht notwendigerweise um Expertenwissen – die Datenbasis ist nur so gut, wie die Menschen, die sie beisteuern. Darüber hin aus gibt es auch staatliche Angebote, beispielsweise die Seite gesetze-im-internet.de des Bundesjustizministeriums, auf der nahezu das gesamte geltende Bundesrecht kostenlos und immer aktuell zur Verfügung steht – ein Service, der offline auch mit Loseblattsammlungen und regelmäßigen (kostenpflichtigen) Nachlieferungen nicht in gleicher Qualität abgebildet werden kann.
Zusätzlicher Nutzen entsteht durch interaktive Nutzerfunktionen und insbesondere Suchfunktionen, die nicht auf eine einzelne Datenbank beschränkt bleiben. Das betrifft Private ebenso wie Wissenschaftler, die etwa in digitalen Bibliotheken recherchieren, aber auch alle anderen Teilnehmer am Wirtschaftsleben – vom potenziellen Gründer, der sich z. B. umfassend über das Marktumfeld oder etwaige Unterstützungsmöglichkeiten informieren kann bis zum etablierten Unternehmen.
Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass die Vernetzung und die damit einhergehenden Möglichkeiten der Wissensdiffusion auch eine bessere und sowohl gezieltere als auch breitere Darstellung der eigenen Anliegen ermöglichen. Das reicht von der Präsentation von Aktivitäten und Inhalten zu Marketingzwecken auf Unternehmensebene über die Herstellung von Transparenz beispielsweise zu Vorhabenplanungen durch den Staat (auch im Sinne einer Bürgerbeteiligung) bis hin zu den Aktivitäten Privater, die als Ausdruck ihrer Meinungsfreiheit z. B. Angebote und Leistungen bewerten oder zu ihren spezifischen Anliegen Beiträge verfassen.
Automatische Generierung von Content
Mit automatischer Textgenerierung kann über leicht überprüfbare bzw. gleichartige Vorgänge berichtet werden; die Software kann dabei auch lernen, den normativen Gehalt und die Relevanz eines Ereignisses richtig einzuschätzen. An ihre Grenzen stößt die Technik heute dort, wo Empathie oder eine Recherche von Hintergrundinformationen gefordert sind. Der menschliche Reporter wird also weiterhin gebraucht, kann sich aber unter Umständen stärker auf diese Bereiche seiner Arbeit konzentrieren.
Aktuell im Einsatz sind „Roboter-Journalisten“, etwa im Bereich der unterklassigen Sportereignisse oder für aktuelle Feinstaubmeldungen. Die Texte basieren auf strukturierten Daten (z. B. Spielberichtsbögen und weitere Liga-, Spiel- und Vereinsdaten). Dabei ist grundsätzlich auch eine gezielte Information der jeweiligen Zielgruppe möglich, im zweiten Beispiel etwa von Personen mit Atemwegsbeschwerden. Der Mehrwert liegt in einer größeren Aktualität und einem größeren Umfang an Berichterstattung – es kann so parallel über beliebig viele Ereignisse berichtet werden, zu denen es ansonsten in der Regel schon aus Kapazitätsgründen oder wegen einer zu kleinen Zielgruppe keine Berichterstattung gäbe.
Produktverbesserungen und unentgeltliche Leistungen
Digitale Produkte haben durch Qualitätsverbesserung und zusätzliche Eigenschaften für Konsumenten oftmals einen höheren Nutzen als vergleichbare nicht-digitale Vorgängerprodukte aus der Offline-Welt. Häufig sind die digitalen Lösungen sogar noch billiger. Diese Produktveränderungen und die damit verbundenen Nutzen können so weit gehen, dass ein sinnvoller Vergleich mit Vorgängerprodukten nicht mehr möglich ist. Das gilt schon für den Vergleich bereits digitalisierter Produkte untereinander, beispielsweise im Hinblick auf den Leistungsumfang eines Smartphones und eines Mobiltelefons der Generation von vor zehn Jahren – von einem Vergleich mit den Zeiten der reinen Festnetztelefonie ganz zu schweigen.
Diese Art von Mehrwert wird in der aktuellen volkswirtschaftlichen Statistik nicht erfasst. Die sogenannte Konsumentenrente ist die Differenz zwischen der Zahlungsbereitschaft und des tatsächlichen Preises, den ein Konsument für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu zahlen hat. Durch digitalisierte Prozesse lassen sich zahlreiche (innerbetriebliche) Kosten senken, was einen preissenkenden Effekt auf die Endprodukte hat. Wenn der Preiseffekt größer als der Mengeneffekt ist (Preise fallen stärker als die nachgefragte Menge steigt), wird ein Rückgang der Wertschöpfung gemessen, obwohl es einen Mehrwert aus Sicht der Konsumenten gibt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind digitale Dienste, die kostenlos von Internetfirmen oder sozialen Netzwerken angeboten werden und für den Konsumenten erheblichen Nutzen stiften können.
Unterstützung von und in Verwaltungsprozessen
Auch auf Ebene von Staat und Verwaltung kann die Digitalisierung einen Mehrwert bringen, der sich letztlich in vereinfachten und ggf. verbesserten Verfahren wiederum bei Bürgern und Unternehmen niederschlägt. Das verdeutlicht etwa das Beispiel des österreichischen Notariats: Der Umstieg auf elektronischen Rechtsverkehr hat die Qualität der notariellen Dienstleistung in Bezug auf die Implementierungsgeschwindigkeit der juristischen Transaktionen nach Maßgabe von Durchlaufzeiten und Erledigungsquoten pro Zeiteinheit wesentlich erhöht. In untergeordnetem, aber ebenfalls relevantem Ausmaß konnte auch die äußerst geringe Fehleranfälligkeit noch weiter reduziert und damit die Rechtssicherheit erhöht werden.
Grenzüberschreitende Interaktionen / Transaktionen
Die Digitalisierung erleichtert grenzüberschreitende Transaktionen, die Zusammenarbeit von Forschern und die Diffusion von Innovationen und Wissen. Auf Unternehmensebene werden durch den sofort, nahezu kostenlos und an beliebig viele Empfänger möglichen Daten- und Informationsaustausch Transaktionskosten minimiert – wenn insoweit keine besonderen Hemmnisse (z. B. Datenschutzbestimmungen) bestehen. Ähnlich wie beispielsweise Freihandelsabkommen einen reibungslosen (und kostengünstigeren) Waren- und Dienstleistungsverkehr ermöglichen, dürften die Datenschutzbestimmungen für den Internet-Datenverkehr zwischen der EU und den USA („Safe Harbor Framework“ beziehungsweise der Nachfolger „Privacy Shield“) die Kosten für den Online-Handel zwischen diesen beiden Wirtschaftsräumen reduziert haben. Schätzungen zufolge würden rund ein Prozent aller EU-Exporte anderenfalls nicht durchgeführt werden. Das vermittelt zumindest einen ersten Eindruck vom Mehrwert durch Digitalisierung in diesem Bereich.
Mögliche Haupteinsatzgebiete im Ausland
In einzelnen Bereichen scheint die Effizienz heute schon so hoch zu sein, dass auch mit digitalen Technologien keine allzu großen Potenziale mehr gehoben werden können, beispielsweise in bestimmten Teilbereichen der Landwirtschaft, die in Deutschland und Bayern heute schon intensiv betrieben wird. Trotzdem schafft die Digitalisierung einen erheblichen Nutzen – nicht zuletzt mit Blick auf eine Anwendung beispielsweise in Entwicklungsländern, wo die zu hebenden Effizienzreserven in der Landwirtschaft und gleichzeitig der Bedarf noch deutlich höher sind. Indirekt entsteht auch dadurch wieder ein deutlicher Mehrwert für unseren Standort (effiziente Form der Entwicklungshilfe, Bekämpfung von Fluchtursachen, Export von Technologien).
Regionen mit beschränkten Bildungsangeboten können in besonderer Weise von der Digitalisierung profitieren – sei es über die virtuelle Vermittlung von Wissen in der Breite (etwa im Sinne einer schulischen oder berufsbezogenen Ausbildung), sei es über den punktuellen Zugriff auf Kenntnisse und Informationen über Techniken (z. B. Reparaturanleitung). Auch die Telemedizin kann hier – neben erheblichen Potenzialen (u. a. Kostensenkung) im Inland – ein breites mögliches Anwendungsfeld finden.