Der Staat tritt im Innovationssystem als Finanzierer, Regulierer und als Betreiber von Infrastruktur auf. Sein Einfluss auf der Nachfrage- wie der Angebotsseite ist groß. Umso wichtiger ist es, dass er ihn bewusst und zielgerichtet im Sinne des Standorts ausübt
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Die nationale Innovationspolitik fokussiert bisher stark auf die Angebotsseite, während die Nachfrageseite (z. B. staatliches Beschaffungswesen, aber auch Auswirkungen politischer Grundsatzentscheidungen beispielsweise in der Energiepolitik) kaum beachtet, jedenfalls aber nicht strategisch gestaltet wird.
Die deutsche Innovationspolitik kann grob in vier Phasen unterteilt werden:
Ausbau der Grundlagenforschung, mit überwiegend missionsorientierten Programmen
direkte Förderung der industriellen F+E, Ausrichtung auf Schlüsseltechnologien
Diffusionsorientierte Programme, Stärkung der Verbundforschung und Netzwerke; breitere Verteilung der Verantwortungen auf die Ressorts und Ausbau der Aktivitäten von Bundesländern und EU; Beeinflussung von Rahmenbedingungen
Bündelung von Programmen, Fördermaßnahmen und Initiativen, an globalen Herausforderungen und Metazielen (z. B. Akzeptanz) orientierte Missionen; Dialogmechanismen und Beratungsgremien
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Das Innovationssystem als solches wandelt sich ebenfalls:
Das, was seit einigen Jahren in der Industrie unter dem Schlagwort „hybride Wertschöpfung“ stattfindet, nämlich eine Verlängerung des klassischen Herstellungsprozesses durch kundenzentrierte Dienstleistungen, der Wandel vom Produkt- zum Lösungsanbieter, wird zunehmend zum Standard.
Inkrementelle Veränderungen werden durch leistungsfähige KI-Algorithmen vorangetrieben, die auch politische und gesellschaftliche Anforderungen bzw. Rahmenbedingungen berücksichtigen, während sich der Mensch auf die grundlegenden, disruptiven Neuerungen und Erfindungen konzentriert. Auch dabei wird er durch deutlich bessere Vorhersagen beziehungsweise Simulationen in frühen Entwicklungsstadien unterstützt. Der Umgang mit Daten (Souveränität, Sicherheit, Nutzung) ist Schlüsselfaktor für den Erfolg.
Die Herausforderung verlagert sich mit dem Aufstieg von Open Science (Ansätze, mit denen wissenschaftliche Veröffentlichungen auf Plattformen für den Leser kostenfrei zugänglich gemacht und zusätzlich experimentelle Daten veröffentlicht werden) dahin, die relevanten Forschungsergebnisse in der größeren verfügbaren Menge an Wissen aufzuspüren. Open Innovation (Öffnung des Innovationsprozesses von Organisationen nach außen) wird auch in der Industrie immer häufiger eingesetzt, um in den notwendigen kurzen Reaktionszeiten Lösungen für ein zunehmend komplexes und interdisziplinäres Umfeld zu entwickeln.
über die Grenzen von Einzeldisziplinen und Staatsgrenzen hinaus: Innovation und Wertschöpfung werden immer globaler.
Um in diesem Umfeld erfolgreich zu bestehen, muss der Staat also die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Keine der oben skizzierten grundsätzlichen Ausrichtungen ist dafür per se die richtige oder die falsche für den Standort. Es gilt, für die Zukunft das Beste aus allen Phasen zu kombinieren und um eine größere Portion Mut zum Risiko zu ergänzen. Wir brauchen insbesondere mehr Raum für Experimente und parallel dazu eine höhere Bereitschaft, ausreichend große Autonomie in Bezug auf Handlungs- und Entscheidungsspielräume zu bieten und in „riskante“ Vorhaben zu investieren. Zusätzlich muss der Staat auf der Nachfrageseite klarer Stellung beziehen und mehr Orientierung geben.
Missionszentrierung hat den Vorteil, dass damit zum einen Offenheit bezüglich der Zielerreichung verbunden ist und zum anderen der Gesellschaft der (potenzielle) Nutzen von Innovationen und dem damit verbundenen Engagement des Staates vermittelt wird. Auch wenn sich die Missionen auf die großen Herausforderungen unserer Zeit beziehen (z. B. demografischer Wandel, Klimawandel, Bekämpfung von Fluchtursachen), ist es wichtig, die Ziele positiv zu formulieren. Das trägt dazu bei, nicht nur die Risiken zu debattieren, sondern vor allem auch den Beitrag zur angestrebten Mission. Die Missionen für Bayern können direkt aus den Zukunftsfeldern abgeleitet werden. Ein Beispiel sind die Gesundheits- und Medizintechnologien. Der Zukunftsrat hat in seinen Empfehlungen von 2018 detailliert beschrieben, wie die Ziele (Gesundheitssystem demografiefest ausgestalten und die bestmögliche Versorgung für jedermann zu Kosten gewährleisten, die nicht über dem heutigen Niveau liegen) mit dem gezielten Einsatz neuer Technologien erreicht werden können. Gleiches gilt beispielsweise für eine jederzeit verfügbare nachhaltige und den individuellen Bedürfnissen entsprechende Mobilität oder den Umbau des Energiesystems ohne Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit (Kosten, Versorgungssicherheit).
Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu fördern, führt zu einer großen Hebelwirkung öffentlicher Gelder und wirkt sich positiv auf das Bruttosozialprodukt aus, der Ansatz muss daher ebenfalls intensiv weiterverfolgt werden. Gleiches gilt für Kooperationen von Unternehmen untereinander. Die Unterstützung von Kooperation und Strukturbildung darf allerdings nicht zulasten der Fördersummen und Laufzeiten für Neuanträge gehen, also der notwendigen konkreten Technologieförderung.
Aktuell kommen erste Ansätze hinzu, die stärker auf Sprunginnovationen ausgerichtet sind. Sie werden allerdings zu zögerlich und mit deutlich zu geringem Mitteleinsatz umgesetzt. Wenn die neue Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen eine Rolle spielen soll, die beispielsweise mit derjenigen der DARPA vergleichbar ist, dann muss
Grundvoraussetzung für einen effizienten Mitteleinsatz ist, dass Klarheit darüber besteht, was bereits durch bestehende Institutionen (Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen) und Fördermechanismen abgedeckt wird (thematisch und funktional). Auch in den Ministerien, die über die Mittelbereitstellung für diese und weitere auf eher riskante Investitionen ausgerichtete Maßnahmen entscheiden, muss die technologische Kompetenz erhöht werden (vgl. auch Kachel 03.2 und 03.5). Bei der Zielerreichung muss ein großer Handlungs- und Entscheidungsspielraum gewährt werden.
In den Bereichen Normung und Standardisierung ist der Staat vor allem als unterstützende Instanz gefragt. Die Vielzahl von technischen Vorgaben und entsprechenden Gremien macht es gerade Mittelständlern fast unmöglich, ihre Interessen angemessen einzubringen. Andere Staaten unterstützen die Unternehmen in der Normungsarbeit – diesem Beispiel muss Deutschland folgen, damit sich nicht Marktmacht dort bündelt, wo der Mitteleinsatz für Standardisierung am höchsten ist.
Der Appell richtet sich aber auch an die Industrie: Die Unternehmen müssen sich ebenfalls stärker als bisher der Bedeutung von Normen und Standards bewusst werden und in die Beteiligung an der Festlegung der Maßstäbe durch die Entsendung von Mitarbeitern in die Gremien investieren. Dies gilt in besonderem Maße für „systemische“ Normungsfelder, in denen es nicht um die Normung eines einzelnen technischen Gewerkes geht (etwa eines Schraubendurchmessers), sondern um die Gestaltung einer ganzen Systemlandschaft wie z. B. Smart Grid oder Industrie 4.0. Hier sind die Unternehmen gefordert, sich im Vorfeld der Normungsarbeit auf eine gemeinsame Normungs-Roadmap zu verständigen und sodann in gegenseitiger Absprache die verfügbaren Normungsexperten so auf die (inter-)nationalen Normungsorganisationen zu verteilen, dass die Roadmap in Gänze zur Umsetzung kommt. Der Staat kann bei diesen komplexen Vorgängen als Stifter wirken und z. B. eine Plattform für die Verständigung zwischen den Unternehmen anbieten und moderieren. Wichtig hierbei ist, dass der zweite Teil, also die Umsetzung in den Normungsorganisationen und Konsortien, dabei nicht zu kurz kommt – wie es leider in der Vergangenheit häufig zu beobachten war.
Forschung und Entwicklung müssen dagegen im Bereich der Standardisierung und Zertifizierung lernender Systeme in sicherheitskritischen Bereichen gezielt unterstützt werden. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Anwendung von KI-basierten Robotersystemen ist die Gewährleistung der menschlichen Sicherheit durch intelligente algorithmische Steuerung, maschinelles Lernen und reaktive Planungsalgorithmen, die alle auch unter Worst-Case- Bedingungen sicher und nachvollziehbar funktionieren. Hier gilt es, die Grundlagen zum Beispiel für künftige Zulassungsverfahren zu schaffen, um die drastisch reduzierte Zeitspanne bis zur möglichen Markteinführung verfahrensmäßig abzubilden und auch Produkte nutzen zu können, deren Verhalten sich – planmäßig, aber nicht exakt vorhersehbar – während des Lebenszyklus verändert (vgl. Kachel 02.3.2 Ausklapper 3 Aufbau eines Safe and Trustworthy AI & Robotics Research Center). Erst auf Grundlage entsprechender wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Möglichkeiten der Gewährleistung von Sicherheit, Zuverlässigkeit, ggf. Transparenz lässt sich festlegen, ob und inwieweit sich die Regulatorik ändern muss. Einstweilen müssen auch hier Experimentierräume bestehen.
Übergeordnetes Ziel muss es für den Staat sein, ein positives Gesamtbild von Bayern beziehungsweise Deutschland als Innovationsstandort zu transportieren und die Gesellschaft im Ganzen damit anzuspornen. Das gilt auch für die Wirtschaft, denn obwohl sie die deutsche Wirtschaft insgesamt durchaus als innovativ wahrnehmen, sehen sich die meisten Unternehmen selbst nicht als besonders innovativ und streben in erster Linie an, nicht vom Markt abgehängt zu werden. Hier muss die Messlatte höher gehängt werden.