Damit ein dichtes Regulierungssystem Innovatoren nicht abschreckt, muss immer Raum für Experimente bestehen. Anderenfalls werden neue Anwendungen außerhalb von Deutschland oder Europa erprobt und letztlich auch zur Marktreife gebracht. Um einen echten „Innovations-Push“ zu erreichen, muss man Regulierung jedenfalls in einem definierten Bereich überschreiten dürfen.
Reallabore (Living Labs), in denen andere (weniger strikte) regulatorische und gesetzliche Bestimmungen gelten, schaffen so einen Raum zum Experimentieren. Sie ermöglichen, in (zeitlich und räumlich begrenzten sowie rechtlich abgesicherten) Testräumen Erfahrungen mit Innovationen unter realen Bedingungen zu sammeln. Hier können die Anwendungen von Forschungsergebnissen unter realen Bedingungen getestet und weiterentwickelt werden. Dazu sind Ausnahmegenehmigungen erforderlich, die allgemein geltendes Recht zeitweise außer Kraft setzen. Auch bedarf es dazu gegebenenfalls neuer Projekt- und Förderformate, um die Forschungs- und die Umsetzungsperspektive stärker zusammenzubringen.
Dabei geht es nicht um eine Deregulierung oder den Abbau von Sicherheits- und Schutzstandards, sondern darum, einen geeigneten Rechtsrahmen –zum Beispiel für den digitalen Wandel – auszuloten. Experimentier- bzw. Öffnungsklauseln für Reallabore existieren bspw. bereits im Personenbeförderungsgesetz und in der Drohnenverordnung. Teilweise sind allerdings selbst dem experimentierwilligen Staat Grenzen gesetzt, die aufgehoben werden müssen. Ein Beispiel ist der Datenschutz: Die DSGVO sieht keine Ausnahmen für Reallabore und Co vor, in denen die europäischen Vorgaben außer Kraft gesetzt werden können. Das muss der gesetzliche Rahmen aber immer zulassen, auf nationaler wie auf europäischer Ebene.
Hinzukommen muss ferner die Bereitschaft des Staates, aus den Erfahrungen in Experimentierräumen zu lernen und den bestehenden Regulierungsrahmen tatsächlich anzupassen.
Neben rechtlichen Experimentierräumen sind reale Testfelder sehr wichtig, wie bereits in früheren Handlungsempfehlungen für das autonome Fahren betont, und müssen stetig weiter ausgebaut werden. Ein Beispiel sind die Einrichtung von Sonderforschungszonen am Kompetenznetzwerk Künstliche Maschinelle Intelligenz „kini.bayern" (vgl. Kachel 02.3.2): In dieser Kooperation von TUM / MSRM, fortiss, LMU, Fraunhofer, Helmholtz und der starken bayerischen Industrie sollen die realitätsnahen Forschungs- und Testeinrichtungen in Form von Sonderforschungszonen, also Living Labs, den experimentellen Kristallisationspunkt von kini.bayern darstellen. Diese Sonderforschungszonen bestehen aus domänenspezifischen, professionell betriebenen Pilotinfrastrukturen für Maschinelle Intelligenz am Standort München. Hier können nicht nur neue Technologien und Systeme erprobt und im Reifegrad signifikant fortentwickelt, sondern auch zulassungsrelevante Prozesse bereitgestellt werden. Folgende drei Sonderforschungszonen sollten unter Berücksichtigung zentraler technologischer Zukunftsfelder bzw. Missionen zunächst aufgebaut werden: Zukunft der Arbeit: Factory of the Future, Zukunft der Gesundheit: Intelligent Hospital Ward, Zukunft der Mobilität: AI Flight and Mobility Testfeld. Ziel ist es, die Spitzenforschung zu bündeln und einen international sichtbaren Kristallisationspunkt für ein stetig wachsendes Kompetenznetzwerk im Bereich der Maschinellen Intelligenz zu schaffen.