Der Staat muss bei der Regulierung die richtige Gewichtung zwischen Chancen und Risiken finden. Während Chancen viel stärker in den Vordergrund gerückt werden müssen, ist beim gesetzgeberischen Umgang mit Risiken deutlich stärker als bisher nach dem Grad der Gefährdung zu differenzieren.
Es ist erforderlich, den Fokus deutlich stärker auf Chancen (gesamtgesellschaftliche Potenziale und Nutzen für den Einzelnen) neuer Technologien zu richten. Der Zukunftsrat hat angesichts der großen Potenziale der digitalen Transformation in seinen Handlungsempfehlungen von 2017 betont, dass die Technikfolgenabschätzung zu einer Technikchancenabschätzung weiterentwickelt werden muss. Weiteres Beispiel ist der Bereich Medizin und Gesundheit, wo neue Technologien sowohl bei der Bekämpfung und Vermeidung von Krankheiten als auch bei der Kostendämpfung und nicht zuletzt für Wohlstand und gute Arbeitsplätze am Standort eine Schlüsselrolle spielen. Dementsprechend ist es geboten, auch in Deutschland ein umfassendes Health Technology Assessment im Sinne einer Medizin-Technikchancenabschätzung einzuführen (Gesundheit und Medizin. Analyse und Handlungsempfehlungen, 2018). Dieser Gedanke lässt sich auf sämtliche Technologien und neue Anwendungen übertragen; er sollte zur Grundhaltung beim Umgang des Staates damit werden.
Seit einiger Zeit ist in Bereichen wie dem Stoffrecht (z. B. im Geltungsbereich der REACH-Verordnung) eine Tendenz zur Risikominimierung möglichst bis auf null zu beobachten. Statt das vertretbare Risiko zu definieren, wird bei Produkten die vollständige Freiheit von bestimmten Substanzen verlangt. Mit der Nachweisgrenze verschieben sich damit zugleich die Anforderungen, bessere Analysemethoden führen also umgehend zu einem höheren Aufwand. Dabei werden an künstliche, technisch hergestellte Stoffe ungleich höhere Anforderungen gestellt als an Naturprodukte. Ein viel zitiertes Beispiel besagt, dass eine herkömmliche Himbeere angesichts ihres natürlichen Gehalts an verschiedenen Giftstoffen nicht die geringste Chance auf Zulassung hätte, wenn sie im Labor entwickelt worden wäre.
Es ist richtig, Risiken etwa für die Gesundheit und die Umwelt zu reduzieren, und dabei wurden in den letzten Jahrzehnten auch große Fortschritte erzielt. Das Anspruchsniveau muss dabei aber im Rahmen bleiben. Gelingen kann das, wenn Risiken – etwa durch minimale Mengen einer potenziell krebserregenden Substanz – generell denjenigen gegenübergestellt werden, die von vergleichbaren Produkten ausgehen.
Auch Risiken neuer Anwendungen – beispielsweise des autonomen Fahrens – müssen vom Staat nicht nur abstrakt bewertet, sondern stets den mit Alternativen verbundenen Risiken gegenübergestellt werden. Chancen der verschiedenen Alternativen (einschließlich des Nichthandels) müssen gleichwertig mit Risiken einbezogen werden.
Die deutsche Bevölkerung ist – ebenso wie diejenige der meisten anderen EU-Mitgliedstaaten – nicht per se deutlich risikoadverser als der Durchschnitt oder als die Bevölkerung vergleichbarer Industrieländer. Wenn der nationale oder europäische Gesetzgeber trotzdem strengere Maßstäbe an das erlaubte Risiko anstellen will, dann muss das von Anfang an transparent gemacht, begründet und bei Bedarf auch debattiert werden.
Oberste Priorität für staatliche Stellen muss die Risikoabwehr in den Bereichen haben, die für Gesellschaft und Wirtschaft absolut notwendig sind. Dazu zählen die Aufrechterhaltung des großräumigen Energiesystems und der Schutz kritischer Infrastrukturen (vgl. Kachel 02.2.1), sowohl im Falle von Angriffen als auch im Hinblick auf extreme Naturereignisse (Vulkanausbrüche etc.). Hierfür wird noch zu wenig Vorsorge getroffen. Auch Resilienz – zu verstehen als Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit nicht nur von Menschen, sondern als Eigenschaft von komplexen technischen Systemen und Infrastrukturen jeglicher Art – muss als wichtiges Querschnittsthema intensiver behandelt werden.