Die Digitalisierung eröffnet auch im Gesundheitsbereich ganz neue Möglichkeiten: vom Informations- bzw. Erkenntnisgewinn über eine Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung in Echtzeit einschließlich der Kommunikation für Fragen zur Diagnose und Therapie (u. a. übergreifende Therapieansätze, Vermeidung allergischer Reaktionen etc.) bis hin zu neuen Forschungsansätzen mit Big-Data-Methoden oder KI-Systemen in unterstützende Funktion bei Diagnose, Entscheidungsfindung (z. B. Analyse/Interpretation der Daten aus bildgebenden Verfahren) und Therapie (Beispiel: rechnergestützte Chirurgie).
Auch für administrative Prozesse können sich durch eine intelligente Datenauswertung neue Möglichkeiten ergeben: Bisher ist z. B. die Planbarkeit von Arztterminen im Hinblick auf den Zeitbedarf nur eingeschränkt gegeben. Während das beim Radiologen noch vergleichsweise einfach möglich ist, ist beim Orthopäden nur absehbar, dass Erstkontakte länger dauern als Folgekontakte. Der Einsatz von Big-Data-Methoden könnte die Triage maßgeblich verbessern und damit auch einen Beitrag zur schnelleren Terminvergabe bzw. besseren Terminallokation zur Verringerung der Wartezeiten leisten.
Diese Gebiete, in denen der Einsatz digitaler Techniken im Gesundheitswesen wirkt, sind nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig, wie es dem Wesen der Digitalisierung entspricht (vgl. auch die Grafik unten bei Synergien heben).
Technische Vorkehrungen gegen Angriffe von außen und Missbrauch von innen müssen eine Selbstverständlichkeit sein. Die gesetzlichen Vorgaben sehen insoweit einen eindeutigen Rahmen und erhebliche Sanktionen vor. Die Einhaltung muss – insbesondere auch bei staatlichen Angeboten – konsequent gewährleistet werden, um kein Vertrauen zu verspielen.
Es muss ein gestuftes Klassifizierungsverfahren für E-Health-Apps vorgesehen werden, das die Erfordernis einer formalen Marktzulassung vom Risiko der Anwendung für den Nutzer abhängig macht: von der Zulassungsfreiheit für Produkte, die nur informieren oder dem Nutzer eine Datensammlung im Sinne eines elektronischen Tagebuchs ermöglichen bis hin zur Zulassungspflicht mit Nachweisen zur Sicherheit bei der Verwendung für Diagnose- und Therapiezwecke bzw. als Ersatz für ärztliche Leistungen.
Zum Beleg der medizinischen Wirksamkeit neuer, digital gestützter Versorgungskonzepte müssen klinische Studien durchgeführt und gefördert werden. Auch der modellhafte Einsatz digitaler Innovationen in der Versorgung (ambulant, stationär und intersektoral) sollte weiter unterstützt werden, um den gesundheitsökonomischen Nutzen neuartiger integrierter Versorgungsprozesse zu belegen.
Wenn wir nicht lernen, den Rohstoff Daten zu nutzen, werden wir international abgehängt.
Der Einsatz von Big Data bzw. künstlicher Intelligenz verspricht zusätzliche Erkenntnisse bei einer weniger aufwendigen Gewinnung als mit klinischen Studien bzw. eine Optimierung der klinischen Forschung und Studien. Beispiele sind neue Therapieansätzen (z. B. Genomsequenzierung, Stoffwechselprozesse in der Krebstherapie) und die Unterstützung durch digitale Assistenzsysteme.
Die Datenauswertung wird erst mit den Primärdaten des Patienten wirklich wertvoll. Gegenwärtig sind allerdings Abrechnungsdaten die einzige strukturierte und standardisierte Datenquelle. Ideal ist eine Kombination von klinischen Informationen mit genetischen sowie sonstigen Informationen (z. B. aus Wearables).
Anforderungen an die Anonymisierung (Problem der Re-Identifizierung) dürfen nicht überspannt werden. Datenschutz und Datensicherheit sind immer (Risiko-)Abwägungsprozesse, die nicht losgelöst von der Frage der Nützlichkeit entschieden werden können. Wo das Datenschutzrecht in diesem Sinne zu enge Grenzen setzt, muss nachgesteuert werden.
Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet ist die Betrugsbekämpfung im Gesundheitswesen (Schadensumme bundesweit: ca. 14 Milliarden Euro p. a., wovon nur ein Bruchteil angezeigt wird; auch interne Kontrollen der Leistungsträger decken nur ca. 0,25 Prozent der Fälle auf). Hier kann ein Einsatz von Big-Data-Methoden, kombiniert mit einem Erfahrungsaustausch mit Versicherungen und Banken zu Methoden der automatisierten Erfassung von Betrugsverdachtsfällen, einen relevanten Beitrag zur fairen und nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitssystems leisten.
Künstliche Intelligenz (KI) kann beispielsweise beim Einsatz in Assistenzsystemen einen wesentlichen Fortschritt in der Medizin bringen.
Gegenüber herkömmlichen Verfahren zeichnen KI-Systeme vor allem folgende Merkmale aus:
KI / Vorbehalte und Ängste abbauen
Genau diese Eigenschaften machen KI so wertvoll beim Einsatz in Diagnose und Therapie. Trotzdem stoßen KI-Systeme in der öffentlichen Wahrnehmung teilweise auf Misstrauen. Mit ein Grund dafür ist das durch die Medien geprägte Bild von intelligenten Maschinen, das einen Ausprägungsgrad künstlicher Intelligenz („starke KI“) – teilweise sogar mit eigenem Bewusstsein – transportiert, der auf absehbare Zeit nur Science-Fiction bleiben wird. Für die Diskussion muss klargestellt werden, dass es hier nicht darum geht, sondern um eine KI, die die menschliche Intelligenz in bestimmten Teilbereichen ergänzt und erweitert („augmented intelligence“). Es geht also nicht um Mensch gegen Maschine bzw. Maschine statt Mensch, sondern Mensch und Maschine gemeinsam gegen das Problem, hier die Krankheit.
Rechtsrahmen anpassen
Gegenwärtig wird auf deutscher und europäischer Ebene intensiv darüber diskutiert, neue Regelungen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu erlassen, wobei die Unterscheidung zu „klassischen“ Algorithmen teilweise unscharf ist. Solange klar ist, dass KI-Systeme nur unterstützende Funktion haben und letztlich immer der Mensch die Entscheidung trifft, gilt für den Einsatz von „normaler“ unterstützender Analysesoftware und künstlicher Intelligenz gleichermaßen, dass das geltende Recht im Grundsatz gut geeignet ist, den heutigen Stand der Technik abzubilden. Bei der Produkthaftung unterscheiden sich normale und lernende Algorithmen insofern voneinander, als bei Ersteren der Programmierer die entscheidenden Weichenstellungen dafür trifft, dass das gefundene Ergebnis korrekt ist, während es bei einem lernenden System entscheidend darauf ankommt, dass es nicht nur den richtigen Input erhält, sondern auch das richtige Feedback zu seinen Ergebnissen. Am Ende ist das aber wenig mehr als eine Beweisfrage.
Eine Frage, die sich allerdings mittelfristig – nämlich dann, wenn KI-Systeme bei bestimmten Aufgaben dem Menschen klar überlegen sind – stellen könnte, ist, ob der Mensch nicht schon alleine deswegen haftet, weil er anders entscheidet, als es das Assistenzsystem vorschlägt, und dabei irrt. Diese Frage sollte tatsächlich bereits jetzt interdisziplinär diskutiert werden
Bei allen großen Vorteilen durch den Einsatz digitaler Techniken muss es insgesamt bei der evidenzbasierten Medizin bleiben, und Korrelation darf die Kausalität nicht ersetzen. Digital gewonnene Erkenntnisse müssen an denselben wissenschaftlichen Qualitätsansprüchen gemessen werden wie diejenigen aus herkömmlichen Studien. Bloße Korrelationen können wertvolle Hinweise für die weitere Erforschung liefern (z. B. mittels Visual Analytics aufgezeigte auffällige Muster), müssen aber bei der Frage der Nutzenbewertung und Erstattungsfähigkeit von Nachweisen klar unterschieden werden. Wenn etwa der Besuch bei einem Heilpraktiker statistisch belegbar zu einem „Behandlungserfolg“ führt, obwohl es für das fragliche Verfahren keine wissenschaftliche Evidenz gibt, können die Daten Hinweise auf neue zu überprüfende Erklärungsansätze liefern, diese aber nicht ersetzen.
Vielfach diskutiert wird derzeit ein Anspruch auf Transparenz, also auf Offenlegung von Algorithmen. Auf der einen Seite gibt es ein nachvollziehbares Interesse daran, wie ein Ergebnis zustande gekommen ist, aber dem stehen auf der anderen Seite nicht nur Geschäftsgeheimnisse gegenüber: Bei Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens oder etwa des Einsatzes neuronaler Netze ist selbst bei Kenntnis des Algorithmus der Weg zum Ergebnis schlicht nicht exakt nachvollziehbar („Black Box“). Zu Recht wird daher an Verfahren gearbeitet, die es ermöglichen sollen, auch etwas über den „Lösungsweg“ zu lernen („Grey Box“). Diese Forschung zu unterstützen, ist, im Vergleich zu – teilweise unerfüllbaren – Offenlegungspflichten, der sinnvollere Weg.
Auch für den Gesundheitsbereich sind die aktuellen Bestrebungen auf EU-Ebene zur Regulierung von Daten als vertragliche Gegenleistung („Zahlen mit Daten“) von Relevanz, insbesondere natürlich für den Bereich mHealth bzw. den zweiten Gesundheitsmarkt. Der eigentliche Wert solcher Regelungen liegt bei richtigem Verständnis darin, sachgerechte Sonderregelungen zum (EU-)Datenschutzrecht zu normieren bzw. das Verhältnis von Vertrags- und Datenschutzrecht zugunsten der Privatautonomie zu klären, was zum gegenwärtigen Erarbeitungsstand noch nicht der Fall ist. Wichtig ist auch, dass weder auf nationaler noch auf EU-Ebene neue Ausschließlichkeitsrechte an Daten („Dateneigentum“) geschaffen werden.